Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
Höhle, komm mit.« Eine gläserne Treppe führte zu einem hellen Gang im ersten Stock. »Das hier ist mein Schlafzimmer. Victorias Zimmer ist daneben, aber nur Pickles schläft noch dort. Meistens tagsüber.«
Jill sah sich in Abbys Zimmer um. Für einen Augenblick fehlten ihr die Worte. Auf dem Boden lag ein blauer geknüpfter Teppich, Tagesdecke und Vorhänge waren mit Blüten von Vergissmeinnicht bestickt. Das Zimmer war eine perfekte Kopie des Zimmers, das Abby und Megan sich früher geteilt hatten.
»Du hältst mich bestimmt für verrückt, aber ich wollte mich wie zu Hause fühlen und so wenig wie möglich vermissen.«
»Hat es funktioniert?«
»Irgendwie schon.«
Jill berührte Abby kurz am Arm. Ihr wurde jetzt erst richtig klar, dass auch Abby durch die Scheidung ihre Familie und ihr Zuhause verloren hatte. Selbst dieser Prachtbau war kein Ersatz dafür gewesen.
»Hier ist Dads Büro.« Ein schwarzes Ledersofa, lackierte Beistelltische und ein schnittiger Schreibtisch aus Walnussholz mit einem schwarzen Herman-Miller-Stuhl dahinter bildeten das Inventar dieses maskulin und karg wirkenden Arbeitszimmers. »Hier hat er unser Leben gemanagt. Das muss ich alles noch lernen. Im Aktenschrank liegen viele alte Rechnungen.«
»Als wir verheiratet waren, hatten wir ein Computerprogramm, mit dem wir unsere Rechnungen bezahlt haben. Das ist um ein Vielfaches einfacher. Hast du etwas dagegen, wenn ich den Laptop einschalte?«
»Mach nur.«
Jill setzte sich hinter den Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Ein Urlaubsfoto mit William, Abby und Victoria erschien auf dem Bildschirm. Jill zuckte zusammen. Ein seltsames Gefühl, so in Williams Leben einzudringen. Sie sah zu Abby hoch. »Wir können das auch ein andermal machen.«
»Nein, kein Problem. Ich habe seine Mails schon alle durchgesehen. Keine Hass-Mails oder Beschimpfungen von durchgeknallten Weibern. Nichts Verdächtiges.« Abby deutete auf den Beistelltisch. »Dort hat die Polizei die Whiskeyflasche gefunden, aber keine Gläser. Wenn Dad mit dem Mörder hier gesessen hat, hat der anschließend beide Gläser mitgenommen.«
Jill schwieg, suchte und fand das Finanzprogramm. »Hiermit kannst du kinderleicht die monatlich anfallenden Kosten errechnen. Wo sind die alten Rechnungen? Nur für den Fall, dass wir sie brauchen.«
»Hier.« Abby ging zum Aktenschrank und öffnete ihn. »Ich bin schon alles durchgegangen, habe aber nichts Seltsames gefunden.«
Auch darauf ging Jill nicht ein, sondern überflog stattdessen die Ordner mit Telefonrechnungen verschiedener Anbieter. Ein Ordner war mit »Wichtige Dokumente« beschriftet. In ihm fand sie die Besitzurkunde für das Haus, die auf William ausgestellt war. »Was ist in den anderen Schubladen?«
»Nichts mehr. Victoria hat alles für den Anwalt mitgenommen. Ich glaube, es waren Bankauszüge und andere Papiere drin.«
»Okay.« Jill gähnte und streckte sich. »Warum nehmen wir die Akten und den Laptop nicht mit zu mir? Du bleibst ein paar Tage bei uns, und ich arbeite dich in den Finanzkram ein. Pack ein paar Sachen zusammen, dann fahren wir.«
Abby strahlte, zögerte dann aber. »Willst du denn nicht Dads Zimmer sehen, in dem er gestorben ist?« Sie wies auf eine geschlossene Tür.
»Warum sollte ich?« Jill seufzte.
»Um mir zu helfen. Außer dir habe ich niemanden.«
»Aber, Schatz, ich bin doch kein Detektiv. Warum engagieren wir keinen Privatermittler? Ich zahle ihn auch.«
Abby schüttelte den Kopf. »Kein Fremder wird so nach der Wahrheit suchen wie ich. Willst du sie denn nicht auch erfahren? Du hast meinen Vater doch mal geliebt.«
»Schon, aber …«
»Jill, bitte.« Abby zog sie am Arm. »Mein Leben ist von einem auf den anderen Tag auf den Kopf gestellt worden. Peng. Ohne Vorwarnung. Ich will doch nur verstehen. Das ist alles. Nur ein einziger Blick ins Zimmer. Bitte.«
Jill seufzte. Sie war nicht gut im Neinsagen.
»Bitte, Jill.«
»Gut. Aber nur kurz, und dann gehen wir.«
Williams Schlafzimmer war groß und modern eingerichtet. Die Wände waren weiß, eine war dunkelblau gestrichen. Auf dem Boden lag ein dunkelblauer Orientteppich, das Bett hatte ein nussfarbenes Kopfteil, der Nachttisch die gleiche Farbe. Auf einer lang gezogenen kleineren Kommode stand ein Foto von William mit seinen Töchtern, alle drei trugen ein weißes T-Shirt. Er grinste in die Kamera.
»Ich kann nichts Verdächtiges entdecken, Abby. Können wir jetzt gehen?«
»Ich weiß, es gibt keine Anzeichen für
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