Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
strengere Hand.«
Jill wollte antworten, aber Megan kam ihr zuvor. »Sam!«, rief sie. »Komm zu uns und lass dich umarmen!«
»Überredet.« Sam drängte sich ins Bett und umarmte Megan, die sich an ihn schmiegte. Er war ein richtiger Vater für sie geworden. Anders als William. Jill konnte es mit ihren eigenen Augen sehen.
Und wenn Abby nach Hause kam, würde sie einen Weg finden, dass auch sie wieder zur Familie gehörte. Falls Abby denn überhaupt je wieder nach Hause kam.
29
Es war Montagmorgen. Jill marschierte vom Parkplatz zur Praxis und versuchte den Kopf freizubekommen. In der Nacht hatte sie sich schlaflos hin- und hergewälzt und sich Sorgen um Megan und Abby gemacht. Und dabei musste sie sich eigentlich voll auf ihre Arbeit konzentrieren – es war Grippezeit. Mit Padma hatte sie bereits telefoniert, der kleine Rahul hatte noch immer Fieber. Hoffentlich kamen bald die Ergebnisse seines Bluttests.
Ärztezentrum Pembey stand auf dem Holzschild des ehemaligen Wohnhauses. Viele Gebäude in der Straße waren zu Arztpraxen, Anwaltskanzleien oder Büros für Steuerberater umgewandelt worden. Pembey lag nur zwanzig Minuten von Jills Wohnung entfernt. Die Praxis in dem Vorort war genau das Richtige für Jill gewesen, als Megan noch ein kleines Mädchen war.
Jill öffnete die Tür zum Wartezimmer, das beruhigende Blau seiner Wände und die großen Erkerfenster verliehen dem Raum selbst an einem trüben Tag wie diesem etwas Helles und Heiteres. Das Wartezimmer war bereits gefüllt, die Patienten blätterten in Magazinen oder tippten auf ihren Handys herum. Keiner von ihnen wollte zu Jill, sie hatte erst in einer halben Stunde ihren ersten Termin. Bis dahin wollte sie den nicht enden wollenden Papierkram der Versicherungen ein wenig aufarbeiten. In Anbetracht von fünfzehn verschiedenen Versicherungstypen ein mühsames Unterfangen.
Bei der Anmeldung sah sie Elaine Fitzmartin mit ihrer Mutter Mary, einer Alzheimer-Patientin von Doktor Tho mas. Die beiden waren oft hier, und Jill mochte sie. »Hi, Ladys, wie geht es Ihnen heute?«
»Sie sehen aber heute schick aus«, antwortete Mary und lächelte.
»Danke«, antwortete Jill. Sie trug nur wie gewöhnlich einen Baumwollpulli, eine Khakihose und Clogs. »Und wie geht es Ihnen?«, wiederholte sie ihre Frage.
»Ich habe schon Kreuzworträtsel gelöst. Und zwar mit einem Füller. Machen Sie Kreuzworträtsel?«
»Schon, aber nie mit einem Füller, da kann man nichts mehr ändern. Aber machen Sie so weiter.« Jill wandte sich an Elaine. Auch die Betreuungspersonen selbst mussten betreut werden, das wusste sie aus der Zeit, als sie ihre eigene Mutter gepflegt hatte. »Und wie geht’s Ihnen, Elaine?«
»Viel besser, seitdem Mom Memoril nimmt.«
»Das freut mich.« Jill kannte sich mit Alzheimer-Medikamenten nicht sonderlich aus. »Und Sie, leben Sie auch gefährlich, indem Sie Kreuzworträtsel mit dem Füller lösen?«
Elaine lächelte. »Nein, lieber lese ich den Krimi weiter, den Sie mir geliehen haben. Ich kann das Buch einfach nicht weglegen.«
»Das freut mich.« Jill entdeckte Sheryl, die Leiterin des Ärztehauses. Sie stand bei den Aktenschränken und belauschte ihr Gespräch, aber Jill ignorierte sie. »Sie werden nie draufkommen, wer der Mörder ist.«
»Ich glaube, ich weiß es schon.«
Jill grinste. »Aber keine Seiten überspringen, so wie Sie es beim letzten Mal gemacht haben.« Jill wandte sich an Mary. »Sie sind ihre Mutter. Sagen Sie ihr, dass das Vorblättern beim Lesen verboten ist.«
»Aber sie hört nicht auf mich. Hat sie noch nie getan.«
»Dann war Ihre Erziehung ja erfolgreich«, sagte Jill, und alle drei lachten. Sheryl machte Jill ein Zeichen, das Gespräch zu beenden.
»Entschuldigen Sie, aber ich muss jetzt gehen. Passen Sie auf sich auf!« Jill öffnete die Tür zum Flur, und schon stand Sheryl in ihrem Arztkittel vor ihr. Sie war klein, untersetzt, ihr kurzes strohiges Haar war schon ein wenig angegraut – das kam davon, wenn man alle Welt kontrollieren wollte.
»Ich muss sofort mit Ihnen sprechen, und zwar in Ihrem Büro.«
Jill ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Dann lade ich Sie doch am besten auf der Stelle zu einem Besuch in meinem Büro ein.«
»Das ist nicht witzig.« Sheryl drückte einen Aktenordner gegen ihre Brust.
»Erst einmal wünsche ich Ihnen einen guten Morgen.« Jill sperrte die Tür zu ihrem Büro auf, einem fensterlosen Kabuff mit einem kleinen, adretten Schreibtisch und einem ums Überleben
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