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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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Gespann von Polizeibeamten sind wir. Nun, wenigstens Schraubenzieher, Zange und Brecheisen sind im Kofferraum. Ich werde mich damit behelfen müssen.»
    Kurz vor der Einfahrt hielt Delaney am Straßenrand; Bäume schirmten den Wagen gegen das Haus ab. Boone stieg aus und ließ sich die Wagenschlüssel geben, um den Kofferraum aufzumachen und rasch sein Werkzeug herauszuholen. Dann verglichen die beiden Beamten ihre Uhren.
    «Sagen wir: fünfzehn bis zwanzig Minuten», meinte Delaney. «Bleiben Sie so lange wie nötig. Ich warte auf Sie.»
    «In der Zeit müßte ich es eigentlich schaffen», stimmte Boone zu. «Wenn ich in längstens einer halben Stunde nicht zurück bin, schlagen Sie Alarm.»
    Delaney nickte, ließ den Motor wieder an und fuhr langsam weiter. Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Der Sergeant war verschwunden. Der Chief bog in die Auffahrt ein.
    Er war sicher, daß jemand daheim war - der große schwarze Mercedes stand in der Auffahrt -, doch mußte er den abgewetzten Messingklopfer mehrere Male betätigen, ehe sich etwas rührte. Schon überlegte er, ob die Damen womöglich einen kleinen Spaziergang unternommen hätten, als die Tür spaltbreit geöffnet wurde; ein neugieriger Blick streifte ihn, dann ging die Tür weit auf.
    «Du meine Güte!» sagte Emily Maitland. «Mr. Delaney! Ach, ist das aber eine reizende Überraschung!»
    Breitbeinig stand sie vor ihm, die nackten Füße fest auf den warmen Dielenbrettern. Sie trug einen dünnen Kaftan aus indischer Baumwolle, und ihm wurde bewußt, daß sie unter dem halbdurchsichtigen Stoff nackt war. Man ahnte die Schatten ovaler Brustwarzenhöfe und das dunkle Dreieck des Schamhaars. Was er jedoch deutlich wahrnahm, war ihr strotzender, sinnlicher Körper, massige Schenkel, zitternde, melonengroße Brüste, strotzende Weiblichkeit, die die Nähte des dünnen Gewandes zu sprengen drohte. Und als Kontrast darüber ein argloses, unschuldiges Gesicht mit gerundetem Kinn, zu dem nur die durchtrieben glitzernden Augen nicht recht paßten.
    «Miss Maitland», sagte Delaney freundlich lächelnd, «wie schön, Sie wiederzusehen. Verzeihen Sie, daß ich nicht vorher angerufen habe, aber es fiel mir etwas Wichtiges ein, und da bin ich einfach hergefahren in der Hoffnung, Sie zu Hause anzutreffen.»
    «Selbstverständlich», sagte sie unbestimmt und schaute über seine Schulter. «Und wo ist Sergeant Boone?»
    «Ach, der hat heute seinen freien Tag. Selbst Polizeibeamte brauchen ab und zu eine Ruhepause. Darf ich eintreten?»
    «Du meine Güte!» sagte sie. «Da plappern wir hier an der Haustür! Selbstverständlich, kommen Sie nur herein, Chief. Mama ist zwar nicht ganz auf dem Damm, wird sich aber bestimmt freuen, Sie zu sehen. Mama, sieh mal, wer da ist!»
    Sie führte ihn in einen dämmerigen, muffig riechenden Salon, wo Dora Maitland auf einem zweisitzigen viktorianischen Sofa ruhte, dessen braunsamtene Polster abgewetzt glänzten. Delaney konnte sie im Halbdunkel kaum erkennen: sie verschmolz beinahe mit den verschnörkelten Etageren und Nippsachen, den gehäkelten Schondeckchen, den Glasstürzen über Uhren, den Strohblumen, Porzellanfigürchen, Federsträußen und Briefbeschwerern, der mahagonigetäfelten Wand mit der fleckigen Tapete darüber, dem Staub und der düsteren Atmosphäre — eine archäologische Fundstätte, ein verlorenes Zeitalter, eine untergegangene Kultur.
    Sie trug einen seidenen Frisiermantel, dessen Gewebe vor Alter fadenscheinig war. Ein Arm, der in einem schmuddeligen Gipsverband steckte, wurde von einer Leinenschlinge gehalten. Eines ihrer Kniee war dick bandagiert, das Fleisch darum herum schwammig und bleich. Der schwabbelige Körper lag schlaff da. Auf einem Wildlederkissen jedoch ruhte ihr unglaublich dramatisches Haupt: die Locken eine schwarz glänzende Flut, die Haut mattes Elfenbein, die Augen funkelnd, die karminroten Lippen halb aufgeworfen wie zu einem Kuß.
    «Wie reizend», murmelte sie träge und reichte ihm eine schlaffe Hand. «Wie reizend.»
    Delaney berührte die weichen, heißen Finger und nahm dann, ohne eine Aufforderung abzuwarten, auf einem ziemlich lädierten Lehnsessel Platz, von dem aus er wenigstens die Umrisse der Damen erkennen konnte. Emily hatte eine Glaskugel zur Hand genommen, in der künstliches Schneegestöber wogte. Sie ließ die Kugel von einer Hand in die andere gleiten; das wirkte wie eine Liebkosung mit schmeichelnden Fingern. Sie streichelte die Kugel und sah dabei Delaney unverwandt

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