Die zweite Wirklichkeit
waren gefärbte Kontaktlinsen - blitzte es verhalten amüsiert. »Schließlich liegt es dir am Herzen, daß niemand hier von unseren Neigungen erfährt, oder?«
Seven stöhnte auf. »Ich möchte überhaupt nicht diskutieren! Verstehst du das denn nicht? Ich brauche ein wenig Zeit, um mit mir ins Reine zu kommen.«
»Das heißt, du bist dir nicht sicher, ob wir ...«, begann Beth, doch ihre Lebensgefährtin (war sie das noch?) fiel ihr ins Wort:
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dazu geschaffen bin, eine Frau zu lieben. Das ist es.«
»Es ist keine Frage des Geschaffenseins«, meinte Beth leise. »Du liebst mich, oder du liebst mich nicht - nur um diese Frage geht es.«
»Dann laß mich eine Antwort darauf finden«, bat Seven aggressiv und riß sich los. Hastig richtete sie ihre perfekt gestylte Aufmachung mit den Händen nach, dann entfernte sie sich eilends vom Sydney Morning Herald und damit von Beth. Den bitteren Blick der Freundin konnte sie jedoch noch spüren, als sie längst Teil der Menschenmenge der Sydneyer City geworden war. Dem Impuls, umzukehren, zu Beth zurückzulaufen und ihr in die Arme zu fallen, widerstand sie trotzdem. Wenn auch mit einem steinschweren Seufzen, das ihr zwei, drei fragende Blicke anderer Passanten eintrug.
Seit etwas über einem Jahr währte ihre Beziehung zu Beth MacKinsay nun schon, und von Anfang an war es eine Art Haßliebe gewesen. Warum sie die Sache nicht trotzdem längst beendet hatten (und es wohl auch diesmal nicht tun würden ...), wußten sie beide nicht so recht, obwohl es zu Szenen wie diesen eben mindestens einmal wöchentlich kam. Mal war Beth es, die die Flucht ergriff, mal verließ sie selbst zornschnaubend das kleine City-Apartment, in dem sie (unter Ausschluß der kollegialen Öffentlichkeit) zusammen-lebten. Gestern war »die Reihe« wieder einmal an Seven gewesen. Und heute sie hatte den Beginn ihres vorgezogenen Feierabends bewußt so gelegt, daß sie Beth beim Verlassen des Verlagshauses treffen mußte . nur um ihr dann eine Szene zu machen?
Seven van Kees lachte traurig auf.
Sie waren verrückt.
Auf einander.
Darin lag des Übels Wurzel.
Und darin vielleicht, daß sie selbst noch immer Probleme hatte, ihre gleichgeschlechtliche Veranlagung einzugestehen - auch sich selbst gegenüber. Einerseits hatte nie zuvor ein Mann solche Leidenschaft in ihr entfacht (und solche Dinge mit ihr angestellt!) wie Beth MacKinsay; andererseits hatte sie manchmal immer noch das Gefühl, etwas »Verbotenes« zu tun. Etwas wunderbar Sündiges .
Aber im Fahrwasser dieser Gedanken tauchte wie immer unweigerlich jene Frage auf, ob sich das Zusammenleben zweier Menschen darin erschöpfen durfte. Mußte Gemeinsamkeit nicht mehr sein als Harmonie im Bett? Manchmal war ihre Beziehung zu »Macbeth«, wie sie wegen ihrer Vorliebe für Macintosh-Computern genannt wurde, ja mehr - aber eben nur manchmal .
Aber all diese Zweifel änderten nichts daran, daß Seven van Kees' Herz ein paar Takte heftiger schlug, als sie an all jene Dinge dachte, in denen Beth und sie so gut zusammenpaßten.
Vielleicht war es Zufall, daß es gerade jetzt geschah. Vielleicht auch nicht .
Seven hatte inzwischen einen jener kleinen Parks erreicht, die wie grüne Inseln im Häusermeer der Sydneyer City lagen. Es herrschte kaum Betrieb; die Zeit, in der Berufstätige die Mittagspause nutzten, um hier ein wenig halbwegs sauerstoffangereicherte Luft zu atmen, war vorüber. Seven war zumindest auf diesem buschgesäumten Weg allein .
... als das Grün neben ihr zu explodieren schien!
Eine Gestalt stürzte furiengleich aus dem Buschwerk hervor, so schnell, daß Seven kaum Gelegenheit fand, sie wirklich zu sehen.
Das änderte sich erst, als die andere sie raubtierhaft ansprang und zu Boden riß.
Wie schwarzes Feuer wogte das Haar um das verzerrte Gesicht der anderen, den Mund hatte sie weit aufgerissen, und in den grünen Augen des Mädchens funkelte etwas, das allenfalls noch einen Hauch vom Wahnsinn entfernt lag.
Dann stieß die Fremde den Kopf ruckartig nieder.
Biß zu!
Und Seven van Kees schrie kreischend auf, als ihr Hals mit einemmal in Flammen zu stehen schien.
*
Sie wußte nicht, wie lange der Schmerz währte. Es konnten Sekunden sein, ebensogut aber auch eine ganze Minute oder länger. Seven van Kees fühlte sich wie aus der Zeit herausgelöst und dafür gefangen in einer Zwischenzone, in der nichts gab außer Schmerz und Wahnsinn.
Dann war es vorbei. So schnell, wie es begonnen
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