Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Schuppen und es roch nach Fisch. Man konnte nicht sagen, dass wir uns Bocksburg auf dem kürzesten Weg näherten, aber vermutlich auf dem am wenigsten wahrscheinlichen. Falls jemand auf den Straßen nach Bocksburg nach mir Ausschau hielt, stand ihm eine Enttäuschung bevor.
Die Burg stand an einem unwirtlichen Punkt der Küste. Sie scheint hoch und schwarz aus den Felsen hervorzuwachsen und schaut düster auf die Mündung des Bocksflusses hinunter. Das war der Grund, weshalb die Erbauer diesen Platz wählten. Wer immer im Besitz der Burg ist, beherrscht den Flusshandel. Die Unwägbarkeiten der Geschichte bestimmten sie zur Residenz der Herrscher des Hauses Weitseher. Unterhalb der Burg klebt die aus kleinen Anfängen entstandene Siedlung an den Klippen wie Moos an Steinen. Teile der Unterstadt sind auf Stegen und Molen ins Meer gebaut. Als Junge hatte ich geglaubt, der Ort könne nicht größer werden, weil einfach kein Platz da sei, um zu wachsen, doch an dem Nachmittag, als wir in den Hafen einliefen, erkannte ich, dass ich mich geirrt hatte. Menschlicher Erfindungsgeist triumphierte über die abweisende Natur. Hängende Pfade zogen sich girlandengleich über das Angesicht der Klippen, winzige Häuser und Läden wurzelten im Fels. Die Behausungen erinnerten mich an die Nester von Mauerseglern, und ich stellte mir schaudernd vor, wie es sich darin leben mochte, wenn die Winterstürme sie umtosten. An den Stränden, wo ich mit Molly und den anderen Kindern gespielt hatte, waren auf Pfählen lange Molen ins Meer hinausgewachsen, als Fundament für Warenlager und Schänken. Bei Flut konnte man direkt an der Türschwelle der Häuser festmachen. Das tat auch unser Fischerboot, und ich folgte meinem stummen Führer ›an Land‹, das heißt, auf einen Plankensteg.
Während das kleine Schiff die Leinen los machte und wieder aufs Meer zurücklief, schaute ich mich gaffend um, ein Tölpel vom Lande, der zum ersten Mal in die große Stadt kommt. Die vielen neu hinzugekommenen Bauten und der lebhafte Verkehr auf dem Wasser ließen keinen Zweifel daran, dass Burgstadt blühte und gedieh, doch war ich nicht glücklich darüber. Die letzten Spuren meiner Kindheit ausgelöscht. Der Ort, an den zurückzukehren ich mich einerseits gesehnt andererseits gefürchtet hatte, bis zur Unkenntlichkeit verändert. Als ich mich nach meinem Führer umsah, war er verschwunden. Ich wartete noch eine Weile, obwohl ich ziemlich sicher war, dass er nicht wieder auftauchen würde. Er hatte mich nach Burgstadt gebracht. Von hier aus brauchte ich keinen Führer mehr. Chade hatte von jeher dafür gesorgt, dass seine Agenten nicht jeden Abschnitt der verschlungenen Pfade kannten, auf denen sie zu ihm gelangten. Ich schulterte meinen kleinen Rucksack und machte mich auf den Weg in mein altes Zuhause.
Vielleicht, überlegte ich, während ich durch Burgstadts steile und enge Straßen wanderte, hatte Chade sich sogar gedacht, dass ich auf der letzten Etappe der Reise in meine Vergangenheit lieber allein sein wollte. Ich ließ mir Zeit. Mit Chade konnte ich erst nach Einbruch der Dunkelheit Kontakt aufnehmen. In den einst vertrauten Gassen war nichts mehr so ganz wie damals. Jedes Haus, auf das man ein zweites Stockwerk setzen konnte, hatte ein solches bekommen; in einigen der schmaleren Gassen trafen sich von links und rechts fast die Balkone, sodass man wie durch einen halbdunklen Hohlweg ging. Ich fand Schänken, in denen ich getrunken, Läden, in denen ich eingekauft hatte, und erspähte hie und da sogar die Gesichter alter Bekannter, verändert durch die Spuren der Erfahrungen von fünfzehn Jahren. Doch keiner bekundete seine Überraschung oder Freude, mich wiederzusehen; als ein Fremder war ich nur für die Buben sichtbar, die auf der Straße heiße Pasteten feilhielten. Um den Preis von einem Kupferling kaufte ich eine und aß sie im Gehen. Der Geschmack der pfeffrigen Sauce mit den Stücken Flussfisch war der Geschmack von Burgstadt.
Die Kerzlerei, die damals Mollys Vater gehört hatte, war nun ein Schneiderladen. Ich ging nicht hinein, stattdessen trat ich in die Schänke, in der wir einst Stammgäste gewesen waren. Sie war noch genauso düster, verqualmt und voll wie in meiner Erinnerung. Der schwere Tisch in der Ecke trug die Spuren von Kerrys müßiger Schnitzerei. Der Schankbube, der mir das Bier brachte, war zu jung, um mich gekannt zu haben, doch in den Linien von Stirn und Brauen verriet sich der Vater, und ich freute mich, dass das
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