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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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verstand er und gehorchte. Er griff in die Kuriertasche, die er an einem Gurt vor der Brust trug, zog eine Schriftrolle heraus und hielt sie mir hin.
    Halt dich bereit, forderte ich Nachtauge auf, als ich vortrat, um sie zu nehmen. Dann erkannte ich das Siegel, mein eigener Rehbock in dickes rotes Wachs geprägt. Eine neue Angst durchströmte mich. Ich starrte auf das Schreiben in meiner Hand, dann winkte ich dem taubstummen Boten abzusteigen. Zu Harm sagte ich mit angestrengt ruhiger Stimme: »Führ ihn hinein, und gib ihm zu essen und zu trinken. Auch seinen Pferden. Bitte.«
    Und zu Nachtauge: Behalt ihn im Auge, Bruder, während ich die Nachricht lese.
    Nachtauge hörte auf zu knurren, doch er folgte dem Boten dicht auf den Fersen, als ein verwirrter Harm mit ihm ins Haus ging. Die erschöpften Pferde rührten sich nicht von der Stelle. Ein paar Augenblicke später kam Harm wieder heraus und führte sie zur Tränke. Währenddessen stand ich alleine draußen und starrte auf das zusammengerollte Pergament. Endlich brach ich das Siegel auf und studierte im Abendzwielicht die Zeilen in Chades rechtsgeneigter Schrift.
    Lieber Vetter, Familienangelegenheiten erfordern deine Anwesenheit.
    Zögere nicht mit deiner Rückkehr.
    Du weißt, ich würde dich nicht rufen,
    wäre es nicht dringend.
    Ein unleserlicher Namenszug. Es war nicht Chades Unterschrift. Die wirkliche Botschaft bestand aus dem Siegel. Er würde es nicht benutzt haben, wenn es nicht wirklich wichtig wäre. Ich rollte das Pergament wieder zusammen und richtete den Blick in die untergehende Sonne.
    Als ich ins Haus trat, sprang der Kurier vom Stuhl auf. Kauend wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund und gab zu verstehen, er wäre bereit, umgehend aufzubrechen. Ich nahm an, dass er von Chade eindeutige Anweisungen erhalten hatte. Keine Zeit, um Mensch und Tier etwas Ruhe zu gönnen. Ich bedeutete ihm, er solle sich hinsetzen und aufessen. Wie gut es sich traf, dass mein Rucksack schon gepackt war!
    »Ich habe die Pferde abgesattelt und trockengerieben«, berichtete Harm, der zur Tür hereinkam. »Sie sehen aus, als hätten sie einen weiten Weg zurückgelegt.«
    Ich nickte. »Leg die Sättel wieder auf. Sobald unser Freund hier sich gestärkt hat, brechen wir auf.«
    Der Junge stand da wie vom Donner gerührt, endlich fragte er mit kleinlauter Stimme: »Wohin gehst du?«
    Ich hoffte, dass mein Lächeln überzeugend wirkte. »Nach Bocksburg. Und früher, als ich dachte.« Ich überlegte. Unmöglich zu sagen, wann ich zurückkommen würde. Oder ob ich überhaupt je hierher zurückkam. Ein Notruf wie dieser von Chade bedeutete, es handelte sich um eine Angelegenheit, bei der es um Kopf und Kragen ging. Ich war selbst überrascht, wie leicht es mir fiel, eine Entscheidung zu treffen. »Nachtauge und du, ihr folgt mir, sobald es hell wird. Spann den Wagen an, damit er nicht die ganze Strecke laufen muss.«
    Harm starrte mich an, als wäre ich verrückt geworden. »Und die Hühner? Und was ich alles tun sollte, während du fort bist?«
    »Die Hühner werden sehen müssen, wie sie zurechtkommen. Nein. Nach ein paar Tagen hätte ein Wiesel ihnen allen den Garaus gemacht. Bring sie zu Baylor. Er wird sich um sie kümmern, der Eier wegen. Nimm dir einen Tag Zeit, alles zu richten und schließ das Haus gut ab. Es könnte sein, dass wir so bald nicht wiederkommen.« Ich wandte mich ab, weil seine verständnislose Miene mir ins Herz schnitt.
    »Aber …« Bei dem angstvollen Ton seiner Stimme drehte ich mich wieder zu ihm herum. Er schaute mich an, als wäre ich plötzlich ein Fremder. »Wo soll ich hingehen, wenn ich in Burgstadt bin? Treffen wir uns dort irgendwo?« Ich hörte die Bangigkeit des verstoßenen Kindes in seinen Fragen.
    Ich ging in der Erinnerung fünfzehn Jahre zurück und versuchte, den Namen einer anständigen Herberge aus meinem Gedächtnis zu kramen. Bevor ich fündig wurde, warf er hoffnungsvoll ein: »Ich weiß, wo Jinna und ihre Nichte wohnen. Jinna hat mich eingeladen, sie zu Hause zu besuchen, wenn ich wieder einmal nach Burgstadt komme. An ihrem Haus ist das Schild einer Krudhexe, eine Hand mit eingezeichneten Schicksalslinien. Dort könnten wir uns treffen.«
    »Gut. Abgemacht.«
    Erleichterung malte sich auf seinem Gesicht. Er wusste nun, wohin es ging. Ich freute mich für ihn, dass er diese Sicherheit hatte, mir war sie nicht vergönnt. Doch trotz meiner Unruhe erfüllte mich ein seltsames Hochgefühl. Chades alter Zauber wirkte.

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