Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
zu halten, musste er umgreifen und warf sich dann in die schlechte Nachahmung einer Fechterpose. Ich hatte nie daran gedacht, Harm den Umgang mit einem Schwert üben zu lassen. Einen Moment lang fragte ich mich, ob diese Unterlassung möglicherweise böse Folgen haben könnte. Ich hatte gehofft, er würde Fertigkeiten dieser Art nie benötigen, aber dass er nicht mit dem Schwert umzugehen verstand, bewahrte ihn nicht davor, von anderen herausgefordert zu werden.
Und ich hatte das gleiche Versäumnis noch einmal begangen, als ich mich weigerte, Pflichtgetreu in der Gabe zu unterweisen.
Ich hieß mein schlechtes Gewissen schweigen und sah zu, wie Harm das Schwert durch die Luft schwang. Nach wenigen Minuten war seine Kraft verbraucht. Die harten Muskeln eines Landarbeiters waren nicht das, was man brauchte, um ein Schwert zu führen. Die erforderliche Stärke und Ausdauer ließ sich nur durch überlegtes Training erwerben und durch ständiges Üben aufrechterhalten. Er legte die Waffe hin und schaute mich schweigend an.
»Morgen früh, sobald es hell wird, breche ich auf. Bis dahin muss ich noch das Schwert polieren, die Stiefel fetten, Kleider und Proviant packen …«
»Und dein Haar schneiden«, warf Harm ein.
»Hm.« Ich durchquerte die Stube und nahm meinen kleinen Spiegel heraus. Bisher hatte ich es so gehalten, dass Merle mir bei ihren Besuchen das Haar schnitt. Ich staunte, wie lang es geworden war. Dann, zum ersten Mal seit Jahren, strich ich es nach hinten und fasste es im Nacken zu einem Kriegerzopf zusammen. Harm betrachtete mich, äußerte sich aber nicht zu meinem veränderten Aussehen.
Lange vor Anbruch der Abenddämmerung war alles getan, was ich mir vorgenommen hatte. Ich widmete mich Haus und Garten, hielt mich selbst und den Jungen mit letzten Verrichtungen auf Trab, um sicher sein zu können, dass während meiner Abwesenheit alles ordentlich weiterlief. Als wir uns zum Abendessen hinsetzten, waren wir mit allen denkbaren Vorkehrungen weit vor der Zeit fertig. Harm versprach, regelmäßig zu gießen und den Rest Erbsen zu pflücken. Die letzte Partie Feuerholz zu spalten und zu stapeln. Ich merkte, dass ich ihm Dinge ans Herz legte, die er längst wusste, die seit Jahren sein Tagewerk waren, und hielt endlich den Mund. Er lächelte über meine Besorgnis.
»Ich habe auf der Wanderschaft überlebt, Tom. Ich werde auch hier daheim zurechtkommen. Ich wünschte nur, ich könnte dich begleiten.«
»Wenn alles glückt, und ich bin wieder hier, schließen wir das Haus ab und gehen zusammen nach Bocksburg.«
Nachtauge setzte sich ruckartig auf und spitzte die Ohren. Pferde.
Mit dem Wolf an meiner Seite ging ich zur Tür. Nach einer Minute hörte auch ich den Hufschlag. Zwei Pferde näherten sich in stetigem Trab. Ich ging zu der Stelle, von der aus man hinter die Biegung des Pfades sehen konnte, und erspähte den Reiter.
Es war nicht wie erhofft der Narr, sondern ein völlig Fremder. Er ritt einen sehnigen Braunen und führte ein zweites Pferd am Zügel. Staub haftete dick an den Schweißbahnen am Widerrist des Braunen. Während ich dem Reiter entgegensah, stieg eine Vorahnung in mir auf. Der Wolf teilte meine Unruhe. Das Fell sträubte sich ihm im Nacken und längs der Wirbelsäule und sein kehliges Knurren rief Harm zu uns an die Tür. »Wer ist es?«
»Ich weiß nicht. Aber kein zufällig vorbeikommender Wandersmann oder Höker.«
Sobald er meiner ansichtig wurde, zügelte der Fremde sein Pferd. Er hob grüßend die Hand, dann ließ er die Tiere im Schritt weitergehen. Beide spitzten die Ohren, als ihnen der Wolfsgeruch entgegenwehte; ich spürte ihre Angst, aber auch die Gier nach dem Wasser, das sie ebenfalls wittern konnten.
»Habt Ihr Euch verirrt, Fremder?«, sprach ich den Mann aus sicherer Entfernung an.
Ohne zu antworten, kam er näher. Das Knurren des Wolfs schwoll an. Der Reiter schien von der deutlicher werdenden Warnung nichts zu merken.
Warte noch, bat ich Nachtauge.
Wir blieben stehen, während der Mann herangeritten kam. Das Handpferd trug Sattel und Zaumzeug. Ich fragte mich, ob er einen Begleiter verloren oder den Gaul irgendwo gestohlen hatte.
»Nicht weiter!«, warnte ich ihn schließlich. »Was wollt Ihr hier?«
Sein Blick hing unverwandt an meinem Gesicht. Er hielt auf meine Worte hin nicht an, sondern deutete im Weiterreiten erst auf seine Ohren, dann auf seinen Mund. Ich hob wieder die Hand, um ihm Halt zu gebieten. »Nicht näher!«, warnte ich und diesmal
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