Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
hier sein, oder wir werden uns nicht nur mit Schande bedeckt haben, sondern man wird es als Kränkung ansehen und das bedeutet das Ende eines unter vielen Mühen ausgehandelten Waffenstillstands, den ich zu einem dauerhaften Frieden auszubauen hoffte.«
»Erkauft mit Eurem Sohn.«
Sie öffnete die Augen und richtete den Blick in mein Gesicht. »Allerdings. Wie das Bündnis mit dem Hohen Reich und den Sechs Provinzen mit mir erkauft wurde.« Sie hob das Kinn. »Denkst du, es war ein schlechter Handel?«
Die Zurechtweisung war verdient. Ich neigte den Kopf vor meiner Königin. »Nein, Majestät. Ich denke, es war der beste Handel, den die Sechs Provinzen je gemacht haben.«
Sie nickte zu meinem Kompliment und eine zarte Röte färbte ihre Wangen. »Ich werde deinen Rat befolgen, Fitz. Noch zwei weitere Tage werden wir versuchen, den Prinzen zu finden, bevor wir dem Volk offenbaren, dass er verschwunden ist. In diesen zwei Tagen werden wir jedes uns zur Verfügung stehende Mittel einsetzen, um herauszufinden was ihm zugestoßen sein könnte. Chade hat dir das geheime Labyrinth zwischen den Mauern der Burg geöffnet. Es gefällt mir nicht, was es über uns verrät, dass wir unser Gesinde und die Edlen des Hofs belauschen. Aber ich gestatte dir, davon Gebrauch zu machen, FitzChivalric. Ich weiß, du wirst es nicht missbrauchen. Nutze es, wie es dir geboten erscheint.«
»Ich danke Euch, Majestät«, erwiderte ich ohne echte Begeisterung. Es behagte mir nicht, dieses Geschenk, der Zugang zu den kleinen, schäbigen Geheimnissen meiner Mitmenschen. Ich wich Chades Blick aus. Was mochte es ihn gekostet haben, nicht nur in die schwerwiegenden Geheimnisse der Regierung eingeweiht zu sein, sondern auch in die schmuddeligen und schändlichen Verfehlungen der Leute, die ihm täglich begegneten? Wie hatte er ihnen in die Augen sehen können?
»… und was immer du tun musst.«
Meine Gedanken waren abgeschweift. Die Königin schaute mich an, einer Äußerung meinerseits harrend. Ich flüchtete mich zu der einzig möglichen Erwiderung. »Selbstverständlich, Majestät.«
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, als hätte sie befürchtet, ich könnte mich weigern. Was zu tun? Oder als fürchtete sie, was sie als nächstes aussprechen musste. »Dann säume nicht, FitzChivalric, treuer Freund. Ich würde nicht solche Forderungen an dich stellen, ließe es sich vermeiden. Achte darauf, deine Gesundheit zu erhalten. Sei vorsichtig mit den Trünken und Kräutern, denn so genau dein alter Lehrer auch ist, keine Übersetzung ist jemals vollkommen authentisch.« In verändertem Ton fügte sie hinzu: »Falls entweder Chade oder ich dich zu sehr bedrängen, zögere nicht, es zu sagen. Dein Kopf muss mein Mutterherz im Zaum halten. Bewahre mich davor, dass ich mich schämen muss, weil ich mehr von dir verlangt habe, als du …« Sie ließ den Rest unausgesprochen. Ich denke, sie vertraute darauf, dass ich verstand, was sie sagen wollte. Sie wandte das Gesicht ab, als könnte sie verbergen, dass ihre Augen feucht waren. »Du wirst heute Abend beginnen?«, fragte sie mit unnatürlich hoher Stimme.
Nun war mir klar, was ich soeben versprochen hatte. Ich wusste, ich stand am Rand eines Abgrunds. Ich stürzte mich hinein. »Heute Abend, Majestät.«
Wie soll ich den langen Aufstieg zum Turmgemach beschreiben? Chade ging mir voran auf den geheimen Pfaden der Burg, und ich folgte dem unsteten Kerzenschein. In mir stritten Angst und Erwartung. Mir war, als hätte ich meinen Magen unten zurückgelassen, gleichzeitig wünschte ich mir, er möge sich sputen mich einzuholen. Erregung durchströmte mich in immer heißeren Wellen, je mehr wir uns der Wonne näherten, die mir so lange verwehrt gewesen war. Von Rechts wegen hätte mein ganzes Sinnen und Trachten dem Prinzen gelten sollen, seiner Rettung, aber die Aussicht, mich der Gabe hingeben zu können, beherrschte all meine Gedanken. Sie erschreckte und lockte mich. Meine Haut fühlte sich eng und lebendig an, meine Sinne sträubten sich gegen das Gefängnis des Fleisches. Am äußersten Rand meiner Wahrnehmung schien Musik in der Luft zu klingen.
Chade öffnete die Geheimtür und bedeutete mir einzutreten. Als ich mich an ihm vorbeischob, bemerkte er: »Du kommst mir aufgeregt vor wie ein Bräutigam, mein Junge.«
Ich räusperte mich. »Es ist seltsam, dass ich mich kopfüber in etwas hineinstürzen soll, das ich unter Qualen gelernt habe zu meiden.«
Während ich mich im Zimmer umschaute,
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