Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
oder eine Platte mit Speisen hinstellen lassen, aber nicht unsere Königin. Sie wartete, doch war ihr keine Ungeduld oder Angst anzumerken. Ich nahm an, dass sie meditiert hatte, denn sie war von einer Aura der Ruhe umgeben. Wir schauten uns an, und die kleinen Falten in den Winkeln von Augen und Mund schienen Lügner, denn in dem Blick, den wir tauschten, war keine Minute vergangen. Der Mut, den ich stets an ihr bewundert hatte, leuchtete noch dort, und ihre Selbstbeherrschung umschloss sie wie ein Panzer. Dennoch: »Oh, Fitz!«, rief sie bei meinem Anblick aus, und in ihrer Stimme schwangen herzliches Willkommen und Erleichterung.
Ich verneigte mich tief und sank dann auf ein Knie nieder. »Meine Königin!«
Sie trat vor und legte die Fingerspitzen auf meinen Scheitel; ich empfand es wie eine Segnung. »Erhebe dich«, befahl sie ernst. »Du hast mir in vielen Prüfungen treu zur Seite gestanden und ich mag dich nicht vor mir auf den Knien sehen. Und wie ich mich erinnere, hast du mich dereinst Kettricken genannt.«
»Das ist viele Jahre her, Majestät«, sagte ich, und erhob mich.
Sie umfasste mit beiden Händen meine Rechte. Wir waren nahezu gleich groß und ihre blauen Augen schauten tief in meine. »Viel zu viele Jahre, woran ich dir die Schuld gebe, Fitz. Doch Chade hat mir damals erklärt, es sei möglich, dass du fortan ein Leben in Abgeschiedenheit führen möchtest. Du hattest eigene Wünsche und eigenes Glück deiner Pflicht geopfert, wenn Einsamkeit die Belohnung war, nach der dein Herz verlangte, dann wollte ich sie gern gewähren. Doch ich gebe zu, glücklicher macht es mich, dich zurückkehren zu sehen, besonders in dieser Stunde der Not.«
»Wenn Ihr meiner bedürft, dann bin ich froh, wieder hier zu sein«, erwiderte ich, fast ohne Vorbehalt.
»Es betrübt mich, dass du unter den Menschen in der Burg umhergehst und keiner ahnt, welche Opfer du für ihr Wohl gebracht hast. Man hätte dir einen Empfang bereiten sollen, wie er eines Helden würdig ist, stattdessen verrichtest du Knechtsarbeit und trägst ein Knechtsgewand.« Ihre ernsten blauen Augen forschten in meinem Gesicht.
Ich lächelte. »Vielleicht bin ich zu lange in den Bergen gewesen, wo man weiß, dass der wahre Herrscher seines Volkes erster Diener ist.«
Für eine Sekunde wurden ihre Augen groß. Dann lächelte sie unter Tränen, strahlend wie die Sonne, die durch Sturmwolken bricht. »Ach Fitz, dich solches sagen zu hören, ist Balsam für mein Herz. In Wahrheit bist du Opfer für dein Volk gewesen, und ich bewundere dich dafür. Doch aus deinem Munde zu hören, dass du verstehst, es muss so sein, und dass die Erfüllung dieser deiner Pflicht dir Befriedigung schenkt, das bereitet mir große Freude.«
Zwar hatte sie mich da ein wenig falsch verstanden und hielt mir zu viel zugute, doch will ich nicht leugnen, dass ihr Lob einiges von dem alten Schmerz in mir auslöschte. Ich ersparte es mir, näher darüber nachzudenken.
»Pflichtgetreu«, sagte ich stattdessen. »Er ist der Grund, weshalb ich hier bin, und so sehr ich mich über diese Wiedervereinigung freue, wäre es mir eine noch größere Genugtuung herauszufinden, was mit ihm geschehen ist.«
Die Königin hielt meine Hand fest und zog mich zum Tisch. »Du bist mir von Anfang an ein Freund gewesen, noch ehe ich an diesen Hof kam. Und nun bist du mein Helfer und Beistand in dieser Bedrängnis.« Sie holte tief Atem und die Ängste und Sorgen einer Mutter brachen sich Bahn, als sie sagte: »Auch wenn ich mir vor den Menschen nichts anmerken lasse – und es bekümmert mich, dass ich mein eigenes Volk täuschen muss –, denke ich doch immer an meinen Sohn. FitzChivalric, ich gebe mir selbst die Schuld für dieses Unglück, doch ich weiß nicht, ob mein Fehler darin bestand, zu viel an Disziplin von ihm zu verlangen oder zu wenig, oder ob ich zu sehr den Prinzen gesehen habe und zu wenig den Knaben, oder …«
»Hoheit, Ihr könnt das Problem nicht aus dieser Richtung angehen. Wir müssen an dem Punkt beginnen, an dem wir jetzt stehen; Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter. Ich gestehe offen, in der kurzen Zeit meines Hierseins habe ich nichts herausfinden können. Von den Leuten, mit denen ich gesprochen habe, schien keiner dem Prinzen übel zu wollen. Keiner ließ anklingen, dass er einen unglücklichen oder unzufriedenen Eindruck gemacht hätte.«
»Dann glaubst du, er ist entführt worden?«
Jemandem ins Wort zu fallen sah Kettricken ganz und gar nicht ähnlich,
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