Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
bat er glucksend und während ich den Kragen zusammenzog, wandte er sich ab. Hastig, fast als wäre es eine Flucht, ging er zum Fenster und schaute hinaus. »Jinnas Amulette sind nicht auf mich abgestimmt, aber deswegen bin ich nicht völlig gefeit gegen ihre Wirkung. Du erinnerst mich oft daran, dass ich in mancher Hinsicht durchaus menschlich bin.«
Ich nahm das Halsband ab und hielt es ihm hin. »Du kannst es nehmen und untersuchen, wenn du willst. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich es tragen möchte. Eigentlich ziehe ich es vor zu wissen, was die Leute wirklich von mir halten.«
»Warum nur kann ich das nicht recht glauben«, hörte ich ihn murmeln, doch er wandte sich ins Zimmer zurück und nahm mir das Amulett aus der Hand. Er hielt es in die Höhe, betrachtete es eingehend und schaute dann mich an. »Auf dich abgestimmt?«
Ich nickte.
»Faszinierend. Ich würde es gern behalten, ein, zwei Tage. Ich verspreche, es nicht zu zerpflücken. Danach aber, denke ich, solltest du es tragen. Immer.«
»Ich denke darüber nach«, versprach ich, spürte aber nicht die geringste Lust, es wieder anzulegen.
»Chade wollte dich sprechen, sobald du zurück bist«, sagte er plötzlich, als wäre es ihm in diesem Moment wieder eingefallen.
Damit war die Angelegenheit erledigt, und ich hatte das Gefühl, mir wäre, wenn nicht vergeben, so doch verziehen.
Jetzt, während ich Chade durch den schmalen Korridor folgte, erkundigte ich mich: »Wie wurde all das hier gebaut? Wie lässt sich ein Labyrinth wie dieses, welches sich durch die ganze Burg windet, geheim halten?«
Er hielt im Gehen eine brennende Kerze hoch und antwortete mit gedämpfter Stimme über die Schulter. »Ein Teil davon ist gleichzeitig mit der Burg entstanden. Unsere Vorfahren waren nicht eben vertrauensselig, sie legten Fluchtwege an, für den Fall der Fälle. Manche Bereiche dienten von jeher dem Lauschen und Spähen. Andere Teile waren früher Treppen für das Gesinde; sie entstanden während des Wiederaufbaus nach einem Brand. Noch anderes wurde planvoll hinzugefügt, in der Zeit, als du schon hier gelebt hast. Als Kind, kannst du dich erinnern, wie Listenreich den Auftrag gab, dass der Kamin in der Wachstube neu gebaut werden sollte?«
»Undeutlich. Damals fand ich das nicht besonders wichtig.«
»Niemand fand es besonders wichtig. Dir ist vielleicht aufgefallen, dass zwei Wände eine hölzerne Verkleidung bekamen?«
»Die Wandschränke? Ich dachte, sie wären Köchin Sara zuliebe eingerichtet worden, als rattensicherer Stauraum für Vorräte. Der Raum wurde kleiner dadurch, aber auch wärmer.«
Und über den Schränken befindet sich ein Kriechgang mit mehreren Sehschlitzen. Listenreich wollte gern wissen, was die Männer seiner Leibgarde über ihn dachten, was sie fürchteten, was sie erhofften.
»Aber die Handwerker, die das gebaut haben, mussten doch Bescheid wissen …«
»Man holte Leute von außerhalb und für jeden Abschnitt der Arbeiten eine neue Mannschaft. Ich persönlich habe die Sehschlitze angebracht. Falls der ein oder andere sich wunderte, dass die Decken der Schränke fester als eigentlich notwendig gefügt und abgestützt waren, hielt er den Mund. So, wir sind da. Pst.«
Er hob eine kleine Lederlasche an der Wand und lugte durch das dahinter verborgene Löchlein. Nach einem Augenblick flüsterte er: »Komm.«
Die Tür öffnete sich lautlos in ein Studierzimmer. Wieder spähte Chade durch ein Guckloch, dann klopfte er leise an. »Herein«, antwortete gedämpft Kettrickens Stimme.
Ich trat hinter Chade in ein kleines Boudoir neben dem Schlafgemach der Königin. Die Verbindungstür war geschlossen und ein Riegel vorgelegt. Der Raum war sparsam eingerichtet, in der strengen, aber auch harmonischen Art der Berge. Dicke, parfümierte Kerzen spendeten Wohlgeruch und Licht in der fensterlosen Kammer. Tisch und Stühle bestanden aus hellem, glattem Holz. Der Teppich auf dem Boden und die Wandbehänge waren aus Gras geflochten und zeigten Wasserfälle in einer Berglandschaft. Ich erkannte Kettrickens Handarbeit. Davon abgesehen gab es kein Mobiliar. All das nahm ich nur am Rande wahr, denn meine Königin stand in der Mitte des Zimmers.
Sie erwartete uns. Angetan war sie mit einem schlichten Gewand in dem Blau der Weitseher unter einem Überwurf in Weiß und Gold. Das flachsfarbene Haar lag eng am Kopf, gekrönt von einem glatten Reif aus Silber. Ihre Hände waren leer. Eine andere als sie hätte sich mit einer Nadelarbeit bewaffnet
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