Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
verschmolz er mit der Dunkelheit, denn im zweiten Stock beugte sich jemand aus dem Fenster und schnauzte: »Was geht da draußen vor?«
»Es ist nur mein Hornochse von einem Diener«, gab Fürst Leuenfarb entrüstet Bescheid. »Sturzbetrunken, im wahrsten Sinne des Wortes. Will mir das Fenster schließen und fällt hinaus. Soll er da liegen bleiben. Geschieht ihm Recht, dem Suffkopf!«
Ich lag regungslos im Staub und fühlte, wie das klebrige Gespinst der Träume um mich zerfiel. Eine Minute noch, dann war ich kräftig genug, aufzustehen und mich aus dem Einflussbereich der Mauern zu entfernen. Nur eine Minute. Die schreckliche, bleierne Müdigkeit, die mich den ganzen Abend gelähmt hatte, schwand allmählich. Ich starrte in den Nachthimmel und mir war, als könnte ich schwerelos zu den Sternen hinaufschweben. Irgendwo hörte ich zwei Menschen sich streiten, einen Mann und eine Frau. Er klang verzweifelt, doch ihr Ton war fest. Verstehen zu wollen, was sie sagten, war viel zu anstrengend, aber dann kamen sie näher und ich hörte jedes Wort.
»Ich sollte nach Hause zurückkehren«, sagte er. Die Stimme klang sehr jung. »Zu meiner Mutter. Wäre ich bei ihr geblieben, all dies wäre nicht geschehen. Arno wäre noch am Leben. Und die anderen.«
Sie schob den Kopf unter seinem Arm hindurch und legte ihn an seine Brust. Das ist wahr. Und wir wären getrennt, du auf ewig an eine andere gebunden. Ist es das, was du willst?
Sie waren jetzt dicht bei mir. Mit ihm atmete ich ihren erregenden Duft ein, moschusschwer, wild. Er drückte sie an sich. Der Wind fuhr durch meinen Traum von ihnen und verwischte die Konturen. Er streichelte ihr Fell, langes schwarzes Haar glitt durch seine Finger. »Ich will es nicht, aber vielleicht ist es meine Pflicht.«
Du bist deinem Volk verpflichtet. Und mir. Sie legte die Hand um seinen Unterarm; Fingernägel bohrten sich in sein Fleisch wie Krallen. Damit zerrte sie an ihm. Komm. Es ist Zeit. Wir dürfen nicht säumen, wir müssen reiten.
Er schaute in ihre grünen Augen. »Mein Herz, ich muss dorthin zurückkehren, wohin ich gehöre. Es wäre für uns alle von Nutzen. Ich könnte unser Fürsprecher sein, ich könnte auf Veränderungen drängen. Ich könnte …«
Wir wären getrennt. Könntest du das ertragen?
»Ich würde einen Weg finden, dass wir zusammen sein können.«
Nein! Sie schlug ihn auf die Wange, ihre Handfläche streifte rau über seine Haut. Die Gebärde gemahnte an einen Tatzenhieb. Nein. Man würde es nicht verstehen, nicht hinnehmen. Man würde uns trennen. Man würde mich töten und dich vielleicht auch. Denk an die Sage vom Gescheckten Prinzen. Seine königliche Abstammung konnte ihn nicht schützen. Deine wäre dir kein Schild. Eine Pause, dann: Ich bin die Einzige, die sich aufrichtig um dich sorgt. Nur ich kann dich retten. Aber ich wage nicht, mich dir ganz zu offenbaren, bis du nicht bewiesen hast, dass du zu uns gehörst. Immer weichst du aus. Schämst du dich deines Alten Blutes?
Nein. Nie und nimmer.
Dann öffne dich. Du weißt, was du bist, also sei es.
Er schwieg lange. »Ich habe eine Pflicht«, erwiderte er endlich leise. Unendliches Bedauern schwang in seiner Stimme.
»Er soll aufstehen!« Eine tiefe Männerstimme hinter mir. »Wir haben keine Zeit. Wir müssen weg von hier.« Ich wälzte mich herum, suchte nach dem Sprecher, sah aber niemanden.
Grüne Augen schauten ihn an. Ich hätte mich verlieren können in diesen Augen. Vertrau mir, beschwor sie ihn, und er musste tun, was sie verlangte. Später kannst du über diese Dinge nachdenken. Später denke an Pflicht. Jetzt denke an Leben. Und an mich. Steh auf.
Der Narr griff nach meinem Arm und legte ihn sich um die Schultern. »Hoch mit dir«, ermunterte er mich und zog mich auf die Füße. Er war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet. Offenbar war mehr Zeit vergangen, als ich gemerkt hatte. Noch immer strömten mit dem Licht Stimmengewirr und Lachen aus der Schankstube. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass meine Beine mich trugen, aber der Narr bestand darauf, mich am Arm zu einer dunklen Ecke des Hofs zu führen. Ich lehnte mich an die rauen Balken der Stallwand und sammelte meine verstreuten Lebensgeister.
»Geht es wieder?«, erkundigte sich der Narr.
»Gleich.« Langsam lichteten sich die Nebel in meinem Hirn. Ich spürte den altbekannten reifenförmigen Druck um den Schädel, als würde eine Schraubzwinge langsam enger gedreht, Vorbote der unvermeidlichen Gabenkopfschmerzen,
Weitere Kostenlose Bücher