Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
hatte, sich zu wehren oder ob es ihm nicht der Mühe wert zu sein schien. »Woher weißt du, was sie mit mir im Sinn hat?«, fragte er gelassen.
»Ich weiß, was ich tun würde.«
Die Behauptung entsprach nicht ganz der Wahrheit, sagte ich zu mir selbst. Nie und nimmer würde ich eines anderen Menschen Körper und Verstand usurpieren, nur um mein Leben zu verlängern. Um so etwas zu tun, war ich zu edel gesinnt. So edel gesinnt, dass ich nicht zögerte, meinen zukünftigen König zu töten, um zu verhindern, dass man ihm ein solches Schicksal bereitete. So edel gesinnt, dass ich bereit war, ihn zu töten, obwohl ich wusste, dass ich damit auch das Schicksal meiner Tochter besiegelte. Besser, nicht genauer über diese Logik nachzudenken. Also hielt ich mein Messer an die Kehle von Veritas’ einzigem Erben und schaute den Gescheckten entgegen. Ich wartete, bis sie in Rufweite waren, dann erhob ich die Stimme. »Wenn ihr näherkommt, töte ich ihn.«
Der Hüne auf dem Streitross war ihr Anführer. Er hob die Hand, um seinen Gefährten Halt zu gebieten, doch er selbst ritt langsam weiter, wie um meine Entschlossenheit auf die Probe zu stellen. Ich ließ ihn nicht aus den Augen und umschlang Pflichtgetreu noch fester. »Es braucht nur ein Zucken meiner Hand, und der Prinz ist tot«, warnte ich ihn.
»Nun, nun, sei nicht albern«, erwiderte er und ließ sein Pferd weitergehen. Meine Schwarze sandte dem schweren Streiter ein fragendes Wiehern entgegen. »Was willst du tun, wenn wir tatsächlich alle Halt machen? In der Mitte stehen und langsam verhungern?«
»Lasst uns gehen, oder ich töte ihn«, erweiterte ich meine Forderung.
»Nicht weniger albern. Wo liegt dabei der Nutzen für uns? Wenn wir ihn nicht haben können, kann er genauso gut tot sein.« Seine Stimme war tief und volltönend. Er hatte ein gebräuntes Gesicht mit angenehmen Zügen und saß zu Pferde wie ein Kriegsmann. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, hätte ich ihn angesehen und gedacht, er sei jemand, der meiner Freundschaft würdig sein könnte. Hier und jetzt lachten seine Gefolgsleute über meinen armseligen Versuch, ihm die Stirn zu bieten. Sein Pferd trug ihn stetig näher heran. Das mächtige Tier ging in erhabenem Schritt, und in seinen Augen glänzte das Licht ihrer Verschwisterung. »Und bedenke, was geschieht, wenn du ihn tötest, weil ich deiner Aufforderung nicht nachkomme. Wenn er erst tot ist, werden wir alle sehr zornig auf dich sein. Und immer noch bist du ohne Aussicht auf ein Entrinnen. Ich bezweifle ernsthaft, dass es dir gelingen wird, uns zu überreden, dich schnell zu töten. Nun wohl, hier mein Gegenangebot. Gib uns den Knaben, und ich bereite dir ein gnädiges Ende. Du hast mein Wort darauf.«
Ein wahrhaft großherziges Angebot. Seine feierliche Miene und wohlgesetzte Rede überzeugten mich, dass er gedachte, sein Wort zu halten. Ein schneller, gnädiger Tod erschien mir sehr verlockend, wenn ich die Alternative bedachte. Aber es missfiel mir, dass ich sterben sollte, ohne das letzte Wort zu haben.
»Einverstanden«, sagte ich, »aber es kostet euch mehr als mein Leben. Gebt den Wolf frei und den goldenen Mann. Dann gebe ich euch den Prinzen und ihr könnt mich töten.«
Der Prinz stand regungslos im Bogen meines Armes und Messers. Kaum, dass ich ihn atmen fühlte, aber ich konnte merken, wie er lauschte, als sickerten meine Worte in ihn hinein wie Wasser in trockene Erde. Das feine Gespinst der Gabe zwischen uns warnte mich, dass unterschwellig etwas im Gange war. Mit seiner unheiligen Verknüpfung von Alter Macht und Gabe dachte er zu jemandem hin. Ich spannte die Muskeln, für den Fall, dass die Frau ihm die Herrschaft über seinen Körper entriss.
»Lügst du?«, fragte Pflichtgetreu mich so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Wollte er es wissen oder die Katzenfrau?
»Ich sage die Wahrheit«, log ich im Brustton der Aufrichtigkeit. »Wenn man Fürst Leuenfarb und den Wolf freilässt, kannst du gehen.« In den Tod. Und die zweite Kehle, die ich durchschneide, ist meine.
Der große Mann auf dem großen Pferd lachte in sich hinein. »Zu spät, fürchte ich. Sie sind bereits tot.«
»Nein, sie leben.«
»Ach ja?« Er kam näher.
»Ich wüsste es, wenn der Wolf tot wäre.«
Der Abstand zwischen uns hatte sich mittlerweile soweit verringert, dass es nicht mehr nötig war, die Stimme zu erheben. Er sprach zu mir wie einer, der es gut mit jemandem meint. »Genau das ist der Grund, weshalb es so
Weitere Kostenlose Bücher