Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
die Institution der Kordialen ab, vielleicht weil er glaubte, wenn das Wissen und der Gebrauch der Gabe ausschließlich auf die Prinzen und Prinzessinnen beschränkt bliebe, würde die Macht und der Mythos des Königshauses vergrößert. Deshalb konnte es geschehen, dass als unter König Listenreich die Küsten der sechs Provinzen mit Krieg überzogen wurden, es keine Gabenkordialen gab, um bei der Verteidigung des Reichs zu helfen.
Mitten in der Nacht fuhr ich aus dem Schlaf. Malta. Ich hatte die Schimmelstute angepflockt draußen auf der Weide gelassen. Vierklee war nach alter Gewohnheit wahrscheinlich von allein nach Hause getrottet und stand längst an seinem Platz in der Scheune, aber die Stute musste warten, bis ich sie erlöste und sie hatte den ganzen Tag kein Wasser gehabt.
Da gab es nur eins. Ich erhob mich leise und verließ die Hütte; die Tür ließ ich angelehnt, um den Narren nicht durch das Schnappen des Riegels zu wecken. Nicht einmal Nachtauge erwachte, als ich in die Dunkelheit hinaustrat. Wie vermutet, war Vierklee heimgekommen. Ich spürte sanft zu ihm hin. Er schlief und ich störte ihn nicht.
Ich stieg den Hang hinauf zu der Stelle, wo ich die Stute angepflockt hatte. Zum Glück war es sternenklar und der Vollmond leuchtete mir den Weg, aber dennoch half mir meine Vertrautheit mit dem Gelände mehr als meine Augen. Malta begrüßte mich mit einem vorwurfsvollen Schnauben. Ich machte sie los und ging mit ihr zurück zum Haus. Wo der Bach auf seinem Lauf zum Meer unseren Pfad kreuzte, blieb ich stehen und ließ sie trinken.
Es war eine herrliche Sommernacht. Die Luft war ambrosisch. Das Zirpen der Nachtinsekten durchzitterte die Stille, untermalt vom Gluckern des Wassers und dem Prusten und Hufestampfen des Pferdes. Ich ließ den Blick schweifen, nahm die Nacht in mich auf mit ihren Bildern, Gerüchen und Lauten. Das Mondlicht laugte die Farbe aus dem Gras und den Bäumen, dafür verliehen die düsteren Grau-und Schwarzschattierungen der Landschaft ein mystisches Aussehen. Die Feuchtigkeit der Nachtkühle weckte all die Sommerdüfte, die in der Hitze des Tages geschlummert hatten. Mit offenem Mund sog ich einen tiefen Atemzug ein, genoss die Aromen der Nacht. Ich ergab mich meinen Sinnen, ließ meine menschlichen Sorgen fahren, nahm dieses Jetzt und dehnte es zur Ewigkeit. Die Alte Macht entfaltete sich um mich, und ich wurde eins mit der atmenden Natur.
Die Alte Macht birgt in sich eine natürliche Euphorie. Sie ist der Gabe ähnlich und doch wieder ganz anders. Mit der Alten Macht ist man sich der ganzen Fülle und Vielfalt des Lebens bewusst, und dass man Teil davon ist. Ich spürte nicht nur die Wärme des Pferdekörpers neben mir. Ich kannte die Gestalt der Myriaden Insekten im Gras und fühlte die Aura der ehrwürdigen Eiche, die zwischen mir und dem Mond ihre Glieder breitete. Ein Stück weiter oben am Hang duckte sich ein Kaninchen regungslos ins duftende Sommergras. Ich nahm es wahr, nicht als einen Funken Leben an einem bestimmten Ort, sondern wie man im Gedränge und Lärm eines Wochenmarkts manchmal den Klang einer einzelnen Stimme vernimmt. Doch vor allem empfand ich eine innige Verwandtschaft mit der Gesamtheit allen Lebens in der Welt. Ich hatte ein Recht zu existieren. Ich war ebenso Teil dieser Sommernacht wie die Insekten oder der murmelnde Bach vor meinen Füßen. Nach meinem Glauben bezieht die Alte Macht einen Großteil ihrer Kraft aus dieser Erkenntnis: dass wir Teil der Welt sind, nicht mehr, aber auch keinesfalls weniger als das Kaninchen.
Die Richtigkeit dieses Einsseins durchflutete mich, reinigte mich von dem Rückstand des Gabenhungers, der vorher meine Seele gequält hatte. Ich nahm noch einen tiefen Atemzug und stieß ihn aus als wäre es mein letzter, um inwendig wie außen ein Teil dieser guten klaren Nacht zu sein.
Das Bild vor meinen Augen trübte sich, zerfloss, wurde wieder klar. Für einen zeitlosen Augenblick war ich nicht ich selbst, stand nicht auf dem sommerlichen Wiesenhang dicht bei meiner Hütte, und ich war nicht allein.
Ich war wieder ein halbwüchsiger Knabe, entkommen den steinernen Mauern und erstickenden Laken. Ich lief leichtfüßig über eine Schafweide, gespickt mit verschmähten Grasbüscheln und vermochte doch nicht Schritt zu halten mit meiner Gefährtin. Sie war so schön wie die sternengesprenkelte Nacht, das lohfarbene Fell durchzogen von Schwärze, und glitt ebenso lautlos über die Erde wie die Wolkenschleier oben über den
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