Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
hätte, offenbarte ich dem Narren ohne Zögern. Solche Macht über einen Menschen sollte niemals jenen gegeben sein, die ihn nicht lieben. Doch es war so, und ich konnte es nicht ändern. Ich lebte allein und abseits von denen mit der Alten Macht, doch nicht eine Minute verging, in der ich mir nicht unterschwellig der Bedrohung bewusst gewesen wäre, die von ihnen ausging. Kurz überlegte ich, ihm zu erzählen, was Merle von den Vaganten beim Frühlingsfest berichtet hatte. Später, nahm ich mir vor. Später. Als ob die Gefahr nicht mehr da wäre, wenn ich die Augen davor verschloss. Plötzlich fühlte ich mich bedrückt und niedergeschlagen. Ich hob den Blick und merkte, dass der Narr mich musterte.
»Elfenrinde«, sagte er philosophisch.
»Elfenrinde«, stimmte ich zu, doch ich konnte mich nicht davon überzeugen, dass die dumpfe Hoffnungslosigkeit, die mich durchströmte, einzig auf die Nebenwirkungen der Droge zurückzuführen war. Erwuchs sie nicht zu einem Teil auch aus der Sinnlosigkeit meines derzeitigen Daseins?
Der Narr stand auf und wanderte ruhelos durch die Stube. Zweimal ging er von der Tür zum Kamin zum Fenster und machte dann eine scharfe Wendung zum Schrank. Mit dem Marill und zwei Bechern kam er zum Tisch zurück. Warum nicht, dachte ich und schaute zu, wie er einschenkte.
Ich erinnere mich, dass wir den ganzen Abend tranken, bis spät in die Nacht hinein. Der Narr übernahm die Unterhaltung. Wahrscheinlich bemühte er sich, lustig zu sein und mich aufzuheitern, doch er war ebenso melancholisch gestimmt wie ich. Von Anekdoten über die Kaufleute in Bingtown kam er auf eine abstruse Geschichte von Seeschlangen, die sich verpuppten und als Drachen aus ihren Kokons schlüpften. Als ich wissen wollte, weshalb ich nie einen dieser Drachen gesehen hatte, schüttelte er den Kopf. »Verkrüppelt«, sagte er traurig. »Sie schlüpfen im Spätfrühling, schwach und dünn wie frühgeborene Kätzchen. Mag sein, dass sie noch groß und mächtig werden, aber vorläufig schämen sich die bedauernswerten Kreaturen ihrer Schwäche. Sie sind nicht einmal imstande, selbst ihre Beute zu erjagen.« Ich erinnere mich an seinen großäugigen Blick voller Gewissensnot. Seine goldenen Augen bohrten sich in meine. »Könnte es meine Schuld sein?«, fragte er am Ende der Geschichte halblaut ins Leere. »Habe ich mich an die falsche Person gebunden?« Dann goss er sich wieder ein und stürzte den Becher mit einer Todesverachtung hinunter, die mich an Burrich in einer seiner düsteren Stimmungen gemahnte.
Ich könnte nicht mehr genau sagen, wie ich in jener Nacht ins Bett gekommen bin, aber ich weiß noch, wie ich dort lag, einen Arm über den Wolf gelegt, und schläfrig den Narren beobachtete.
Er hatte ein komisches kleines Instrument hervorgeholt, eine Art Laute mit nur drei Saiten. Er saß vor dem Feuer und zupfte disharmonische Töne zu den Worten eines schwermütigen Liedes in einer mir gänzlich unbekannten Sprache. Ich umfasste mein eigenes Handgelenk. In der Dunkelheit konnte ich ihn spüren. Er drehte sich nicht zu mir um, aber ein Bewusstsein von Nähe prickelte zwischen uns. Seine Stimme schien klangvoller zu werden und ich wusste, er sang die Klage eines Verbannten, der sich nach der Heimat sehnt.
Kapitel 9 · Späte Reue
Von der Gabe wird behauptet, sie sei die erbliche Magie des Hauses Weitseher und in der Tat scheint sie sich am zuverlässigsten bei Mitgliedern dieser Familie zu zeigen, doch ist es keineswegs ungewöhnlich, dass die Gabe als latente Veranlagung irgendwo in den Sechs Provinzen auftritt. Unter früheren Herrschern gehörte es zu den Pflichten des Gabenmeisters am Hofe, Kinder zu besuchen, die ein Potential für die Gabe hatten erkennen lassen. Sie wurden nach Bocksburg gebracht, bei ausreichender Eignung in der Gabe unterwiesen und ermutigt, Kordialen zu bilden: in gegenseitigem Einvernehmen gebildete Gruppen aus je sechs Gabenkundigen, die dem regierenden Monarchen zur Seite standen. Obwohl es einen großen Mangel an Informationen über die Kordialen gibt, fast als wären die diesbezüglichen Aufzeichnungen absichtlich vernichtet worden, geht aus der mündlichen Überlieferung hervor, dass es nie mehr als zwei oder drei Kordialen gleichzeitig gegeben hat, und dass Gabenkundige mit großem Potenzial zu allen Zeiten rar gewesen sind. Das Prozedere der Gabenmeister zur Prüfung potenzieller Kandidaten ist in Vergessenheit geraten. König Wohlgesinnt, Vater von König Listenreich, schaffte
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