Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Prophet? Und bist du nicht der, der kommt, um das Gesicht der Zukunft zu verändern? Nicht der Held, nein. Katalyst. Wandler. Derjenige, der durch seine Existenz den anderen die Möglichkeit gibt, Helden zu sein. Ach Fitz, teurer Fitz, wir sind, was wir sind und immer sein müssen. Und wenn ich mutlos bin, wenn ich sagen möchte: ›Weshalb kann ich ihn nicht hierlassen, um in Frieden seine Tage zu beschließen?‹, dann, man höre und staune, sprichst du mit der Stimme des Wandlers und veränderst mein Bild von dem, was ich tue. Und befähigst mich, wieder zu sein, was ich sein muss. Der Weiße Prophet.«
Ich schaute zu ihm auf. Trotz aller Anstrengung, ernst zu bleiben, verzog mein Mund sich zu einem Lächeln. »Ich dachte, ich versetze andere in die Lage, Helden zu sein. Nicht Propheten.«
»Lirum, larum.« Er sprang federleicht zu Boden. »Einige von uns müssen beides sein, fürchte ich.« Er schüttelte sich, zog sein Wams glatt, und der Übermut fiel von ihm ab. »Um wieder auf meine ursprüngliche Frage zurückzukommen. Was gibt es heute zu tun? Ich will es übernehmen, dir die Antwort zu geben. Unsere wichtigste Aufgabe heute ist, nicht an morgen zu denken.«
Ich befolgte seinen Rat, wenigstens diesen einen Tag lang. Ich befasste mich mit Dingen, die ich mir seit langem versagt hatte, denn es waren nicht die wichtigen Arbeiten in Haus und Hof, sondern kleine Tändeleien zu meinem Vergnügen. Zum Beispiel beschäftigte ich mich mit meinen Tinten, nicht mit dem Ziel, sie auf dem Markt zu verkaufen, sondern nur, um Neues zu probieren. Es kam nicht viel dabei heraus. Sämtliche Rotnuancen verfärbten sich beim Trocknen zu Braun, trotzdem verschafften mir die Experimente Befriedigung. Der Narr vertrieb sich unterdessen die Zeit mit Schnitzereien an meinen Möbeln. Ich hob den Kopf, als ich hörte, wie mein Küchenmesser sich ins Holz grub. Er merkte, dass ich zu ihm hinschaute. »Entschuldigung«, sagte er sofort. Er hielt das Messer mit zwei Fingern hoch: Schau her, nichts passiert, und legte es behutsam hin, stand auf und ging zu seinen Satteltaschen hinüber. Nach kurzem Suchen nahm er eine Tuchrolle mit feinen Schnitzmessern heraus. Vor sich hinsummend kehrte er damit zum Tisch zurück und machte sich über die Stühle her. Vorher zog er den dünnen Handschuh aus, der seine von der Gabe berührte Hand umhüllte. Im Lauf des Tages wuchsen üppig belaubte Ranken an meinen schlichten Stühlen hinauf, hie und da lugten kleine Gesichter aus dem Blattwerk.
Als ich am spähten Nachmittag von meiner Arbeit aufschaute, sah ich ihn mit trockenen Scheiten von meinem Holzstapel hereinkommen. Ich lehnte mich zurück und beobachtete ihn, wie er jedes einzelne drehte und wendete und mit seinen Gabenfingern der Maserung nachspürte, als könnte er die innersten Geheimnisse des Holzes erfühlen, die meinem Auge verborgen blieben. Zu guter Letzt wählte er ein Scheit mit einem Knie und machte sich ans Werk. Er summte bei der Arbeit vor sich hin, und ich ließ ihn.
Einmal im Lauf des Tages wachte Nachtauge auf. Er ließ sich schwerfällig vom Bett plumpsen und wankte nach draußen. Als er zurückkam, bot ich ihm etwas zu fressen an, doch er verschmähte es naserümpfend. Er hatte Wasser getrunken, so viel in den Bauch hineinging, legte sich mit einem Seufzer auf den kühlen Boden der Hütte und schlief wieder ein, aber nicht so tief und fest wie vorher.
Und so verbrachte ich diesen Tag auf angenehme Weise, das heißt, mit Arbeiten, zu denen ich Lust hatte, statt mit solchen, zu denen man von der Pflicht genötigt wird. Zwischendurch kam mir immer wieder Chade in den Sinn, und zwar machte ich mir Gedanken darüber, wie bisher nur selten, auf welche Weise sich der alte Assassine die langen Stunden und Tage oben in seinem einsamen Turmgemach vertrieben hatte, bevor ich sein Famulus wurde. Dann schüttelte ich den Kopf über dieses Bild, das ich von ihm hatte. Lange bevor ich in sein Leben trat, war Chade der Assassine des Königs gewesen und übte in dessen Auftrag die Diplomatie des Stiletts, wo immer es nötig war. Die große Schriftensammlung in seinen Räumen und seine endlosen Experimente mit Giften und ausgeklügelten Mordinstrumenten, waren der Beweis dafür, dass er keine Mühe gehabt hatte, seine Zeit auszufüllen. Und seine Sorge um das Wohl des Hauses Weitseher gab seinem Leben einen Sinn.
Früher einmal hatte auch ich darin meinen Daseinszweck gesehen, dann aber damit abgeschlossen, um meinen eigenen Weg zu
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