Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Warner hatten Recht.«
Taub für alle guten Ratschläge hatten wir das Wagnis unternommen, zu Fuß an der Küste entlangzuwandern. In der Wildnis außerhalb von Bingtown begegneten wir Merkwürdigkeiten, die alles in den Schatten stellten, was wir jenseits des Hohen Reichs gefunden hatten. Zu Recht nennt man diese Küste die Nachtmahrschen. Mich peinigten gestaltlose Träume, und manchmal auch im Wachen verzerrte, gar bedrohliche Truggesichte. Nachtauge hatte Sorge, dass ich dem Wahnsinn anheimfallen könnte. Ich weiß nicht, was diese Zustände verursachte. Weder hatte ich Fieber, noch zeigten sich bei mir Symptome einer der Krankheiten, die eines Menschen Verstand verwirren können, dennoch war ich nicht ich selbst auf dem Weg durch diese raue und unwirtliche Gegend. Lebhafte Träume von Veritas und unseren Drachen bedrängten mich. Tagsüber geißelte ich mich endlos mit Vorwürfen über vergangene Torheiten und Irrtümer und dachte oft daran, meinem Leben mit eigener Hand ein Ende zu setzen. Nur die tröstliche Gesellschaft Nachtauges hielt mich davon ab. Zurückblickend erinnere ich mich an diese Zeit nicht als eine Folge von Tagen und Nächten, sondern einen steten Wechsel zwischen lichten Momenten und verstörenden Visionen. Wie bei meiner ersten Reise auf der Gabenstraße hatte ich das Gefühl, nicht mehr Herr in meinem eigenen Kopf zu sein. Eine Erfahrung, die ich freiwillig nicht noch einmal wiederholen möchte.
Niemals, nicht vorher und nicht danach, habe ich eine Gegend gesehen, die so menschenfeindlich wirkte, ja, als habe sie tatsächlich noch nie eines Menschen Fuß betreten. Selbst die dort heimischen Tiere berührten meine Wahrnehmung schrill und fremd. Die Geländebeschaffenheit war nicht weniger befremdlich als die Atmosphäre. Es gab Sümpfe, aus denen übel riechende Gase aufstiegen, die in der Nase brannten, und grüne Marschen, wo das üppig wuchernde pflanzliche Leben entstellt und verwachsen aussah. Wir gelangten an den Regenfluss, den die Bürger von Bingtown den Wilden nennen. Ich kann nicht sagen, welcher Anflug von Irrsinn mich bewog, seinem Lauf landeinwärts folgen zu wollen, aber ich versuchte es. Morastige Ufer, dichter Urwald und Albträume zwangen uns bald zur Umkehr. Ein Gift in der Erde zerfraß Nachtauges Pfoten und sogar meine Stiefel aus zähem Leder, bis sie fast auseinander fielen. Wir gaben uns geschlagen, begingen dann aber eine noch größere Dummheit, indem wir junge Bäume fällten und ein Floß bauten. Nachtauges Nase hatte uns gewarnt, nicht aus dem Fluss zu trinken, dennoch unterschätzte ich die Gefahr. Unser improvisierter schwimmender Untersatz brachte uns mit Mühe und Not zurück zur Flussmündung, bevor er sich in seine Einzelteile auflöste, und wir bekamen beide entzündete Geschwüre von der Berührung mit dem Wasser. Wir waren heilfroh, das Gift im Meer abwaschen zu können. Das Salzwasser brannte, aber es heilte unsere Wunden.
Obwohl Chalced seit langem Besitzansprüche auf den Landstrich bis hinauf zum Regenfluss erhebt und nicht müde wird zu verkünden, dass auch Bingtown innerhalb seiner Grenzen liegt, sahen wir auf dem ganzen Weg nicht die geringsten Spuren menschlicher Besiedelung. Drei Tagesmärsche über den Regenfluss hinaus, schien es mit den Gaukelbildern besser zu werden, doch wir waren noch weitere zehn Tage unterwegs, bevor wir an einen Ort gelangten, wo Menschen wohnten. Durch regelmäßiges Baden im Meer waren unsere Blessuren fast abgeheilt, trotzdem müssen wir einen wenig Vertrauen erweckenden Anblick geboten haben, ein zerlumpter Bettler mit seinem mageren Hund. Man nahm uns nicht mit offenen Armen auf.
Auf dem entbehrungsreichen Marsch nach Norden, von einem Ende Chalceds zum anderen, kam ich zu der Überzeugung, dass die Menschen dort, was Unfreundlichkeit angeht, auf der ganzen Welt nicht ihresgleichen haben können. Ich fühlte mich dort so wohl, wie Burrich es seinerzeit prophezeit hatte. Auch die prachtvollen Städte versöhnten mich nicht. Die viel gerühmte Architektur Chalceds und die Errungenschaften seiner Zivilisation stehen auf einem Fundament menschlichen Elends. Die dort übliche Sklaverei widerte mich an.
Unwillkürlich richtete sich mein Blick auf den Vadeliber im Ohr des Narren. Er hatte Burrichs Großmutter gehört, ihre schwer errungene Belohnung, das Kennzeichen des freigelassenen Sklaven. Der Narr tippte ihn mit der Fingerspitze an. Die von Silberfäden umsponnene blaue Perle hing als Blickfang zwischen
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