Die Zweitfrau
haben. Aber es ist jetzt das Vernünftigste, was wir tun können. Und ja, von daher ist es das, was ich will. Ich sehe doch wie es dir geht. Sei mir bitte nicht böse, aber du siehst einfach schrecklich aus. So abgemagert, so ausgelaugt, so völlig fertig. Das will ich dir nicht länger antun.“
Trotz der traurigen Situation muss ich lachen. Er sagt mir ich sehe schrecklich aus, ich bin abgemagert!! Das ist doch die Höhe! Wir lachen beide laut, als ich ihn darauf aufmerksam mache, was er da von sich gibt.
„Gut, wenn du dich damit gut fühlst, vielleicht auch sicherer - dann ist es für mich in Ordnung.“
Wir beschließen, dass ich sogleich seine Sachen mit nach Hause nehme, dann wird es am morgigen Entlassungstag einfacher für uns. Und so packe ich wieder den Koffer, lasse nur bei ihm zurück , was er noch für den Abend und den Morgen benötigt und fahre nach Hause.
Ich rufe unverzüglich meine Schwester an, als ich daheim ankomme und informiere sie über die Neuigkeiten. Auch sie ist sprachlos. Wir weinen zusammen am Telefon. Aber sie ist ebenfalls der Ansicht, wenn er das will, dann darf ich dem nicht im Weg stehen, darf ihm die Entscheidung nicht schwerer machen.
Montagmorgen hole ich Peter ab und wir fahren nach Hause. Ich habe mittlerweile einen Termin im naheliegenden Krankenhaus vereinbart für die nächste Punktion. Und obwohl es kurz vor den Feiertagen ist - Pfingsten steht vor der Tür - ist es mir gelungen, in der Klinik für den Freitag vor den Feiertagen einen Termin zu bekommen.
Wohl habe ich Bedenken - heute wird, kurz vor Peters Entlassung, nochmal punktiert. Die Zeit bis zur nächsten Punktion kommt mir schon etwas lang vor. Aber Peter, dem ich meine Bedenken mitgeteilt habe, meint, das würde schon passen.
Daheim angekommen sagt er mir, dass er für Freitag nach der Punktion gleich einen Termin im Hospiz ausgemacht hat. Wir sitzen uns am Tisch gegenüber, er nimmt meine Hände in seine und vergewissert sich noch einmal:
„Es ist doch so in Ordnung? Für dich auch? Ich möchte nichts tun, was du nicht willst.“
Unter Tränen antworte ich:
„Ja, es ist schon gut so. Anschauen können wir es uns auf jeden Fall. Dann sehen wir wieder weiter.“
Es geht ihm nicht gut in dieser Woche. Er hat Schmerzen, er isst wenig, kann nicht mehr richtig schlafen, liegt dennoch den ganzen Tag im Bett. So oft es geht , bin ich bei ihm in seinem Zimmer. Und an einem dieser Tage sitzt er auf seinem Bett und wir unterhalten uns, als er plötzlich die Hände vor sein Gesicht schlägt und anfängt zu weinen.
Er schluchzt: „Ich will doch noch nicht sterben.“
Mir schnürt es fast das Herz ab. Was soll ich sagen?
„Es ist nicht so schlimm, das wird schon wieder?“
Ich setze mich neben ihn, nehme ihn fest in die Arme, streichele ihm über Kopf und Rücken. Ich habe Tränen in den Augen, als ich ihm sage:
„Ich weiß, mein Liebling. Ich würde dir so gerne helfen, aber ich kann nicht.“
Ich fühle mich hilflos, unnütz, traurig. Was kann ich nur tun? Nichts, gar nichts kann ich machen. Ein Gefühl von grenzenlosem „ausgeliefert sein“, macht sich in mir breit. Peter fasst sich wieder, drückt mich an sich und so sitzen wir lange fest umschlungen.
Es ist tagsüber bereits sehr warm und so sitze ich oft alleine auf unserem Balkon und sinniere vor mich hin. An einem dieser Tage denke ich plötzlich:
Wir müssen hier weg. Sofort. Ganz weit weg. Nach Australien vielleicht, Afrika. Aber auf jeden Fall schnell. Am besten natürlich, wir suchen einen anderen Planeten auf dem wir leben können.
Und dann plötzlich wird mir, noch während ich darüber nachdenke klar, dass wir nicht weglaufen können. Wir können schon, aber wir werden die Krankheit ja überall hin mitnehmen. Ich bin entsetzt, welche Gedanken mir durch den Kopf gehen. Völlig absurd das alles. Ja, ich zweifele langsam an meinem Verstand. Es gibt keinen Ausweg. Dieses Wissen macht mich langsam aber sicher selbst ganz krank.
Wir sind froh als es Freitag ist und wir ins Krankenhaus zur Punktion können. Peters Bauch ist wieder mächtig angeschwollen und er fühlt sich rundum elend. Natürlich sind wir nicht die einzigen, die auf Behandlung warten und nach zwei Stunden fürchte ich, wir können den Termin nicht einhalten, den wir mit der Leiterin des Hospizes ausgemacht haben. Deshalb rufe sie an, dass wir eventuell etwas später kommen werden, erkläre ihr auch den Grund. Sie bleibt völlig ruhig und meint, dass das kein Problem ist.
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