Die Zwischenwelt (German Edition)
Garten war ein Paradies. Er verlief etagenweise einen Hügel hinauf, auf dem Trauben, Kiwis, Kakis, Kirschen und sogar Zitronen wuchsen. In der untersten Etage, nahe dem Hauseingang, gab es ein Schwimmbecken für Kinder, die jetzt nicht mehr da und sicher schon lange erwachsen waren. Als wir in das Haus gezogen waren, hatte ich mir gut vorstellen können, wie sie sich dort einst amüsiert hatten. Es war ein richtiges Schwimmbad – ein Viereck im Boden, dessen Wände zementiert und blau bemalt worden waren. Es hatte offenbar schon lange leer gestanden und die Stechmücken benutzten die dreckigen Wasserpfützen darin, um sich zu vermehren. Die blaue Farbe war nur noch teilweise zu erkennen, der Stöpsel war verrostet.
Mein 25-Liter-Aquarium war vor dem Fenster mit Sicht auf den Garten und das alte Schloss platziert. Darin lebten, oder überlebten, vier kleine Goldfische. Ich wusste damals nicht, dass diese Fische bis zu 20 Jahre alt werden können und zudem, wenn sie Platz haben und es ihnen gut geht, bis zu 20 Zentimeter wachsen – nur logisch, dass sie in meinem nicht artgerechten Aquarium immer krank waren. Ich hatte mir dann ein 100-Liter-Aquarium gekauft in der Hoffnung, der Gesundheitszustand der Fische würde sich bessern – leider falsch. Nach etlichen Packungen von Medikamenten gegen jede mögliche Fischkrankheit und nach einer mühsamen Bekämpfung der Symptome statt der Ursache hatte ich das Aquarium schließlich aufgegeben: „Ihr wollt eine natürliche Umgebung, damit ihr gesund sein könnt?“, hatte ich mir gedacht, „na gut!“ Ich hatte einen ganzen Tag lang geschrubbt und mit 5.000 Litern Wasser und einigen Seerosen stand es dann endlich parat: Das luxuriöse himmelblaue Schwimmbad für meine vier Goldfische.
Das erste Mal, als ich die Goldfische darin befreit hatte, hatten sie sich ganz eng beieinander gruppiert. Wahrscheinlich waren sie von der neuen großen Freiheit verängstigt – so etwas kannten sie nicht. Dann bewegte sich die Gruppe nach links und nach rechts, kompakt zusammen wie Makrelen im Ozean. Die Fische bekamen schon bald einen Wachstumsschub und wurden riesig; die Krankheiten verschwanden sofort. Ich fügte weitere Fische hinzu. Einige von ihnen schwammen nur langsam; sie waren schwarz, hatten Schleierschwänze und herausragende Augen. Andere waren Flitzer, das waren weiße Karpfen. Wenn die Fische einen Schatten am Schwimmbadrand sahen, schwammen sie alle dorthin, denn sie erwarteten Futter von mir. Alle waren so zahm, dass man sie mit der Hand fangen konnte.
Sie vermehrten sich natürlich, weil es ihnen gut ging. Frisch aus den Eiern geschlüpft, konnte man die Fischlein, etwa einen halben Zentimeter klein, an der Oberfläche schwimmen sehen. Die Jungen waren grau und farblos – wahrscheinlich um zu vermeiden, dass sie von größeren Fischen gesichtet und gefressen wurden. Erst zwei Jahre später wurden sie rot, weiß oder schwarz.
Im Sommer entfernte ich regelmäßig den Stöpsel, um ein wenig Wasser hinausfließen zu lassen und frisches hinzuzufügen, da es keinen natürlichen Wasser-Zu- und -Abfluss gab. „Wie bei der Liebe“, dachte ich manchmal, „wenn man sie nicht in Bewegung hält, vergammelt sie.“ Manchmal badete ich auch in dem Becken, mit meiner Taucherbrille. Die Fische schauten mich unter Wasser immer komisch an, als ob sie ein U-Boot sehen würden. Kurz vor jedem Wintereinbruch warf ich Blätter in das Schwimmbecken, um den Boden für die Überwinterung der Fische vorzubereiten. Später, wenn das Becken von dickem Eis bedeckt war, sah man sie eine Weile nicht mehr. Obwohl auch Zuchtfische (Schleierflossen) dabei waren, die genetisch nicht unbedingt an die freie Wildbahn gewöhnt waren, überlebten alle den Winter. Sobald die Temperaturen wieder stiegen, musste man sofort die Überreste der Blätter entfernen und einen teilweisen Wasserwechsel vornehmen, ansonsten wäre das Laub verfault und hätte die Wasserqualität beeinträchtigt.
Wie aber war es zu der Besonderheit gekommen, dass ein Fisch eine gekürzte Schwanzflosse hatte? Bei meinem Kontrollgang eines kalten Dezembernachmittags sah ich einen jungen, kleinen grauen Fisch dicht unter der zehn Zentimeter dicken Eisschicht. Er bewegte sich nicht vom Fleck und ich dachte, er sei an die Oberfläche getrieben worden, weil er tot sei. Dann bemerkte ich eine Zuckung – er lebte. Wahrscheinlich war er schwächer als die anderen. In der Meinung, es wäre besser, ihn für die Überwinterung in meinem
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