Die Zwischenwelt (German Edition)
unterhalb von Fiona wohnte und immer rote Augen hatte, als ob diese dauernd entzündet seien, kam gerade aus der Haustür. Sie stieg ins Auto, machte das Licht an und blieb einen Moment lang so sitzen. Sie schien vollkommen durchgeknallt und hielt die Augen weit offen – wahrscheinlich hatte sie wieder bis tief in die Nacht ihre Küche gereinigt; auf jeden Fall hatte es so geklungen. Manchmal klang das eher so, als ob Fulvia die ganze Küche zerschlagen würde. Sehr wahrscheinlich schlief sie zu wenig und trank zu viel Kaffee. Man ignorierte sich für gewöhnlich.
Fiona ärgerte sich nun schon wieder darüber, dass sie in einer engen, hellhörigen Mietwohnung leben musste. Gegen acht Uhr telefonierte Fiona in die Kanzlei und meldete sich nochmals krank. Dabei versicherte sie, am Tag darauf zur Arbeit zu erscheinen. Da sie früh genug telefoniert hatte und alle dachten, sie sei wach, konnte sie jetzt wieder ins Bett gehen und so legte sie sich wieder schlafen.
Das Meer war wieder ruhig und das Rauschen war sehr entspannend. Der Sand war gelb und angenehm warm; ein ebenso warmer Wind wehte. Weit und breit war niemand zu sehen, nur Wasser und Sand. Fiona sah an sich herunter. Sie trug ein weißes leichtes Kleid und war barfuß. Ihr schwarzes langes Haar war nicht zusammengebunden – unüblich. Sie entschloss sich, gegen den Wind einfach geradeaus zu gehen, um zu vermeiden, dass die Haare in ihr Gesicht peitschten. Sie ging nicht lange, bis ein kleiner Fleck in der Ferne erkennbar wurde, es schien ein Gebüsch zu sein. Beim Näherkommen zeigte sich, dass es ein junger Olivenbaum war, der hier im Sand wuchs. Viele seiner Äste hatten keine Blätter mehr, er schien beinahe vertrocknet zu sein und die wenigen Blätter, die er noch hatte, waren sehr klein.
„Hallo, Fiona!“, sagte eine sanfte Stimme.
Fiona drehte sich um und sah eine junge Frau mit kurzen Haaren. Die Frau war vielleicht zwanzig Jahre alt und Fiona kannte sie nicht.
„Hallo. Wer bist du denn?“, erwiderte Fiona.
„Ich heiße Sara. Mona schickt mich und lässt dich lieb grüßen.“
„Ah, danke.“
Fiona wusste nicht, was sie sagen sollte. Also sagte sie nichts und schaute Sara einfach nur an. Sara schien eine nette Person zu sein.
„Bist du immer hier?“, fragte Fiona.
„Nein, nur ab und zu. Eigentlich lebe ich woanders, so etwa wie auf einem anderen Planeten. Nur sporadisch ist es mir möglich, hierher zu kommen, um meine Liebsten zu treffen. Die Zwischenwelt, dieser Strand, ist der Treffpunkt zwischen den Welten.“ Sara nahm Fionas Hand in ihre. „Der Suizid deines Vaters hat sicher dein Vertrauen in die Menschheit erschüttert. Die Person, die du liebtest, hat dich verlassen und gab dir das Gefühl, du seiest nicht wertvoll genug, um mehr Zeit mit dir zu verbringen. Du konntest ihn nicht zurückhalten. Weißt du, du hättest ihn unmöglich daran hindern können, selbst wenn du dabei gewesen wärest. Deswegen kannst du deine Schuldgefühle ruhig über Bord werfen.“
Fiona war völlig aufgebracht und unterbrach sie „Und wenn er es geplant hat? Hat er nicht an die Konsequenzen gedacht? War es ihm scheißegal, wie die Hinterbliebenen sich danach fühlen würden? Und wieso hat er keinen Abschiedsbrief geschrieben? War ich für ihn denn kein ausreichender Grund, um weiter zu leben? Und meine Kinder, falls ich noch welche bekomme, seine Enkel?“
„Fiona, er konnte keine Empathie empfinden. Er war krank. Seine Mutter hat ihn krank gemacht. Er hat dir genau das vorgeworfen, was ihm selbst als Kind schon vorgeworfen wurde: Dass er keine Verantwortung übernehme, dass er ein oberflächliches Leben lebe, dass er pedantisch sei und so weiter. Es ist schwierig zu erklären, aber sein Akt … du darfst es nicht persönlich nehmen. Er war krank. Und du hast dich bisher immer mit seinen Augen bewertet. Jetzt, wo er weg ist, musst du ganz neu lernen, dich selbst zu beurteilen. Du musst dich unbedingt von ihm lösen und ihn auch gehen lassen.“
„Wo ist er jetzt? Ist er hier?“
„Nein, noch nicht.“
Sara zeigte auf das trockene Bäumlein: „Fiona, der Olivenbaum braucht unbedingt Wasser. Würdest du ihn wässern?“
„Ja, das würde ich gerne, er ist fast trocken. Aber hier gibt es kein …“ In diesem Moment wurde ein Brunnen sichtbar.
Sara schien unbeeindruckt. „Du musst dich nur konzentrieren, dann erscheint das, was du willst. Meistens.“
Erstaunt ging Fiona zum Brunnen und ließ den Eimer an dem Seil hinunter, um ihn mit
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