Die Zwischenwelt (German Edition)
existiert.“ Ernst hatte sein Gesicht bei diesen Worten so sehr verzogen, dass sie seinen Widerstand deutlich hatte erkennen können.
Für Ernst war es nun verdammt hart, dass er inmitten seines schwarzen „Alls“ feststellen musste, dass der Tod nicht alles beendet hatte – genau so, wie seine Fiona es ihm zu Lebzeiten prophezeit hatte. Nun schwebte er also herum als ein Geist und vom Paradies keine Spur. Endlich sah er Lichter, viele kleine Lichter. Er näherte sich ihnen mehr und mehr, bis er erkennen konnte, dass er sich oberhalb einer Stadt befand. Sobald er ein bestimmtes Licht anschaute und sich darauf konzentrierte, befand er sich augenblicklich dort.
„Also gut, jetzt habe ich verstanden, wie es geht“, dachte Ernst. „Ich muss nur daran denken und gleich bin ich dort, wo ich sein will. Das ist ja eine gute Sache.“
Ernst konnte nun überall hingehen; er konnte Fiona, Sibylla und Martina besuchen – er hatte die Qual der Wahl. Aber leider, leider konnten ihn diese Personen nicht im Geringsten wahrnehmen. So brachten ihm seine heimlichen Besuche nichts anderes ein als Frustration. Das war wohl seine Bestrafung, vermutete er.
„Werde ich für den Rest dieser verdammten Ewigkeit herumschwirren, ohne je mit jemandem sprechen zu können? Ist das die Hölle?“, überlegte er.
Der Teich unter dem Eukalyptusbaum
N achdem ich von den Trekking-Ferien zurückgekommen war, war ich nicht mehr dieselbe gewesen. Oft, wenn ich Blumensträuße zusammenband, schweifte meine Aufmerksamkeit von den Blumen zu meinen Händen ab: Was war da auf dem Kilimandscharo passiert? Wieso hatten meine Hände so alt ausgesehen? Und wer war dieser David überhaupt? Es war dumm gewesen, ihn nicht nach seiner Adresse zu fragen. Aber da ich mit Christoph zusammen war, hatte ich das Gefühl gehabt, ihn zu betrügen, wenn ich von David eine Adresse verlangt hätte. David ließ mich nicht kalt und das bereitete mir Sorgen.
Meine Einstellung zum Leben änderte sich. Dinge, die für Christoph wichtig waren fand ich bedeutungslos – vor allem, wenn ich bedachte, dass diese Welt, in der wir lebten, nicht die einzige war. Ich suchte einen tieferen Sinn, während Christoph normal weiterlebte, ohne sich überhaupt eine Frage zu stellen.
Diese ältere Dame, Mona, hatte mich anfangs sehr beschäftigt. Ich hatte das Gefühl, sie schon lange zu kennen. Ich wusste, da war eine andere Welt, die Zwischenwelt, in der seltsame Dinge vor sich gingen und in der ich Sara finden könnte. Aber wie konnte ich wieder dorthin gelangen? Mit Christoph sprach ich nicht darüber und ich distanzierte mich mehr und mehr von ihm.
Aber wie es im Leben so ist, heilt die Zeit alle Wunden – fast alle. Das Gras wächst darüber und ob sich darunter dann noch etwas verbirgt, bleibt offen. Das Prinzip „aus den Augen, aus dem Sinn“ schien sich mit dem Vorbeiziehen der Jahreszeiten allmählich durchzusetzen. Meine neu gewonnenen Eindrücke verflüchtigten sich und langsam wurde ich wieder die alte Laura.
Eines schönen Tages hatte ich frei und saß im Sonnenschein auf einer dunkelgrauen Steinbank am Fischteich in meinem Garten. Es war ein wunderschöner Herbsttag, der Himmel war stahlblau und ein leichter Wind wehte. Von weit her hörte ich die Glocken einer Kirche läuten, aber der Ton wurde vom Rauschen der Blätter der Bambusbüsche verwischt. Ich war vollkommen entspannt; Clotilde, die dreibeinige graue Katze, schmiegte sich an meine Beine und schaute mich mit ihren goldgelben Augen erwartungsvoll an. Dann raste sie plötzlich weg, sprang auf den einen Meter hohen Miniatur-Zement-Tempel im Schatten und verpasste haarscharf die auf dem Kopf der Engelsstatue sitzende Fliege, die sie fangen und fressen wollte. Clotilde brachte mich zum nachdenken – was war doch in diesem Garten alles passiert.
Nach so vielen Jahren war das Thema Zwischenwelt in Vergessenheit gerückt. Christoph und ich hatten geheiratet und inzwischen die vierzig überschritten. Und dann war er gestorben, kurz nach dem Tod meiner Mutter. Er war ein Bergfanatiker gewesen und bei dem Zeitvertreib, der ihn am meisten glücklich machte, war er gestorben. Zurück blieb mir nur eine tiefblaue Urne mit seiner Asche, die ich im Garten im Schatten des Eukalyptusbaums in dem kleinen Zement-Tempel aufbewahrte.
Ein Fisch schnappte nach einer Mücke auf der Wasseroberfläche. Es war der Fisch, von dessen Schwanzflosse ein Stück fehlte. Nein, nicht alles in diesem Garten war missgebildet.
Der
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