Die Zwischenwelt (German Edition)
rutschte ein Kommentar heraus: „Die muss ja vollkommen verrückt sein.“
Sobald ich das gesagt hatte, bemerkte ich, dass der ältere Herr dorthin steuerte. „Bald ist es soweit“, sagte er ganz aufgeregt. Dann erkannte ich die Frau mit dem Stock, die neben der „Wahnsinnigen“ stand.
„Mona!“, rief ich und fing an, zu laufen. Der Hund hörte auch meine Stimme und kam auf mich zugerannt wie ein Tornado. Es war Tilde, meine liebe alte Tilde! Sie erreichte mich und hörte nicht mehr auf, an mir hochzuspringen. Sie versuchte, mit ihrer Zunge mein Gesicht zu reinigen und meinen Mund zu treffen … Es war ein tolles Gefühl, sie wieder in meinen Armen zu halten. Nachdem Tilde und ich uns lange begrüßt hatten, eilten wir gemeinsam zu Mona und der anderen Frau an den Fuß der Klippen. Der ältere Herr schien etwas scheuer zu sein. Er nahm sich Zeit, in Ruhe zu gehen.
Ich unterhielt mich mit Mona über das Übliche: „Wie geht es dir?“
„Mir geht es gut, danke, und dir?“
Währenddessen schien die Frau mit dem Mantel mit sich selbst beschäftigt zu sein. Weiße Handschuhe lagen am Boden neben ihr, nun zog sie auch ihren Mantel aus. Nachdem sie auch noch die Mütze zu Boden geworfen hatte, konnte ich ihr Gesicht viel besser sehen und ihr schwarzes Haar mit den weißen Strähnen darin. Sie kam mir unglaublich bekannt vor. Sie schien ein wenig eifersüchtig zu sein, weil ich Mona so gut kannte, streckte mir aber trotzdem die Hand entgegen:
„Freut mich, ich bin Fiona.“
Ich erwiderte den Gruß und wir schauten uns einige Sekunden lang in die Augen, bis ich mich wieder Mona zuwendete: „Mona, hast du Sara gesehen? Ist sie auch hier?“
„Tut mir leid. Sie war hier, aber jetzt ist sie nicht mehr da, sie ist wieder fort.“
„Wo fort?“
„Weg. Du wirst sie schon noch treffen, aber nicht hier. Und nicht heute.“ Ich war maßlos enttäuscht.
Fiona schaute mich mitfühlend an. „Sie ist sehr nett, Sara, ich habe sie auch kennengelernt.“ Ich wollte Fiona noch etwas fragen, aber nun kam der ältere Herr bei uns an.
„Jetzt sind wir wieder vereint“, sagte er.
Fiona starrte ihn an. Ich fand diese Frau sehr seltsam und konnte nicht erkennen, ob sie den alten Mann hasste oder gernhatte. Dann umarmte sie ihn plötzlich und nannte ihn Vater. Mona mischte sich ein:
„Ernst, ich glaube, du und Fiona habt etwas Wichtiges zu tun. Und nachher reden wir beide.“
Ernst und Fiona entfernten sich ein wenig von uns, um unter vier Augen miteinander zu reden.
„Vater und Tochter also“, sagte ich zu Mona, während wir die beiden beobachteten.
„Ja. Ich bin froh – Gott sei Dank“, sagte Mona.
„Was haben sie denn zu besprechen?“
„Sie versöhnen sich und sie verabschieden sich, wie es sich gehört.“
„Verabschieden? Aber sie haben sich doch erst getroffen!“
„Ja, ich weiß. Wir haben eben nur wenig Zeit hier. Es ist aufwendig, mit einem Geist hier in der Zwischenwelt zu reden, deswegen kann es nur von kurzer Dauer sein. Und ich muss auch noch mit ihm sprechen – er ist mein Sohn. Und du bist …“
Das Flugzeug wurde von einigen Böen geschüttelt, das rüttelte mich zurück in die andere Welt.
„So ein Mist“, dachte ich. „Gerade als ich dabei bin, etwas herauszufinden, kehre ich in die banale normale Welt zurück!“
Die Rückkehr
F iona hatte in der Zwischenwelt nun endlich ihre lange ersehnte heilsame Erlösung gefunden – und Ernst auch. Das Wiedersehen mit ihm hatte Fiona dermaßen überwältigt, dass sie ihm nicht einmal von ihrem Arbeitsplatz bei der renommierten Anwaltskanzlei erzählte, denn das war nun gar nicht mehr wichtig gegenüber der Tatsache, dass sie endlich die Gelegenheit zur Versöhnung mit ihrem verstorbenen Vater bekommen hatte. Wieso hatte Ernst sich das Leben genommen? – Auch diese Frage blieb ungestellt und unbeantwortet, denn auch das „Warum“ spielte nun keine Rolle mehr. Nur die Gegenwart zählte in der Zwischenwelt, denn dort war sie die einzige existierende Zeitform.
Fiona und ihr Vater Ernst waren etwas zur Seite gegangen, Mona und Laura beobachteten sie still. Ernst hatte Fionas Hände in die seinen genommen und schaute ihr lange in die Augen.
„Ich möchte mich von dir verabschieden“, sagte er schließlich.
Fiona schaute ihn ein letztes Mal an. Er schien kleiner zu sein und seine Haare waren ganz weiß – weißer als sie sie in Erinnerung hatte. Er schien nun nicht mehr so frustriert zu sein wie früher und er strahlte eine
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