Die Zwischenwelt (German Edition)
noch eine fantastischere Sicht, dachte ich mir. Christoph hätte diesen Berg auch gerne bestiegen, sinnierte ich weiter und so keimte bei mir schließlich die Idee, seine Asche in den Krater zu werfen oder sie oben am Gipfel beizusetzen.
Ich war zufrieden in meiner Hütte, aber etwas fehlte noch, damit ich mich vollkommen fühlen konnte. Deswegen saß ich stundenlang auf meiner Terrasse und überlegte, während ich in die Ferne schaute. Meine Katze Clotilde hatte sich mit den streunenden Hunden angefreundet, die bei mir täglich Futter erhielten – sie war ja selbst einmal „wild“ gewesen. Sie war wie eine alte Freundin und gab mir Sicherheit in einer noch neuen Welt. Die Leute vom Dorf hatten mich aber auch ziemlich herzlich aufgenommen und so fühlte ich mich wohl und nicht alleine. Ich liebte den Duft der trocknenden Nelken, die die Bauern in der Nähe meiner Hütte auf Holzmatten auslegten. Ich liebte auch die lauten natürlichen Geräusche der Frösche und der Grillen, aber etwas fehlte eben und ich dachte, ich würde es auf dem Vulkan vielleicht finden können.
An dem Morgen, an dem ich mich für die Exkursion vorbereitete, war es wie immer heiß und feucht. Ich ahnte nicht, welch ein spezieller Tag auf mich zukam – nein, ich ahnte nichts. Wir können es im Voraus nicht wissen, aber plötzlich sind sie da, die Tage, die einem das Leben komplett verändern. Danach ist man nicht mehr dieselbe Person. Hätte man es im Voraus gewusst, wäre man wohl schon vorher vor Aufregung gestorben.
Ich trug ein T-Shirt, eine kurze Hose und Bergschuhe. In meinem Rucksack hatte ich nur eine Jacke, lange Hosen und Christophs Urne dabei. Ich war ein wenig zu früh am vereinbarten Treffpunkt, also entschloss ich mich, alleine noch ein wenig durch die Tempelanlage am Fuße des Gunung Agung zu wandern, bevor ich mich mit Touristen und einheimischen Trägern auf den Berg begeben und meine Privatsphäre für zwei Tagen aufgeben würde.
Ich hörte Schritte und dachte gereizt, dass die ersten Touristen schon am Treffpunkt angekommen seien und meine Besinnungszeit schon vorüber sei. Aus dem Augenwinkel konnte ich einen Mann in kakifarbenen Kleidern erkennen. Ein Feldstecher hing an seinem Hals, als ob er auf eine Afrika-Safari ginge. Schnell huschte ich weg zwischen den beiden großen Pfeilern durch eine Art unvollkommene Arkade, deren oberer Teil fehlte – das war die typische Bauweise. Ein Einheimischer hatte mir einmal gesagt, diese Zementtore bei den Tempelanlagen seien deshalb oben nicht geschlossen, weil das Geld fehle. Er erklärte, man stelle immer erst während des Baus fest, dass man nicht genügend Geld für die Vollendung der Arbeit habe und stelle diese dann ein. Ich hatte diesem Einheimischen geglaubt, aber wahrscheinlich hatte er mich nur veräppelt, denn alle Tore auf der ganzen Insel sahen so aus: Allen fehlte der obere Querbalken. Er hat sich im Nachhinein sicher totgelacht.
Während ich noch über diese Geschichte nachdachte, hörte ich eine männliche Stimme hinter meinem Rücken, die in gutem Englisch fragte: „Sind Sie bei der Besteigung auch dabei?“
„Ist das mühsam“, dachte ich mir.
Die Stimme kam mir aber irgendwie bekannt vor. Ich drehte mich um. „Oh mein Gott! David?“
„Laura? Was machst du denn hier?“, fragte David – es war tatsächlich der englische Journalist vom Kilimandscharo.
„Ich gehe auf den Gunung Agung. Wahnsinn – du auch?“
Er war ganz aufgeregt. „Ich auch! Unglaublich, dich wiederzutreffen. Ist einige Jahrzehnte her, der Kilimandscharo, oder? Ich habe mich im Nachhinein oft darüber aufgeregt, dass ich dich damals nicht nach deiner Adresse gefragt habe!“
„Ich mich auch!“, platzte Laura heraus.
David und ich waren seltsamerweise die einzigen Touristen, die das Trekking an diesem Tag gebucht hatten. Mit drei Trägern begannen wir, den Berg hinaufzuwandern.
„Schreibst du wieder eine Reportage für die Sportzeitschrift?“, fragte ich.
„Ja, in der Tat! Ich wohne auch nicht weit weg von hier.“
Ich war sehr neugierig. „Wo wohnst du denn jetzt?“
„In Hong Kong.“
„Ah, ja – gerade nahe ist das aber nicht wirklich …“
„Ich bin verheiratet und habe eine Tochter. Sie ist neun und heißt Emma – du musst sie unbedingt einmal kennenlernen.“
Ich war nicht gerade am Explodieren vor Freude, versuchte aber trotzdem, Begeisterung zu zeigen: „Eine Tochter? Wie schön.“
„Und du? Hast du Kinder?“
Diese Frage fühlte sich an wie Salz
Weitere Kostenlose Bücher