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Die Zwischenwelt (German Edition)

Die Zwischenwelt (German Edition)

Titel: Die Zwischenwelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Filomena Nina Ribi
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schon zehn Jahre alt und immer noch so klein. Da hat Ernst wohl dasselbe gemacht, was er mit mir gemacht hat“, dachte Fiona.
    Das Bild stellte sie zusammen mit einigen widerwillig mitgenommenen Gegenständen in den Schrank. Dann schaute sie noch eine Weile in das reichlich bepflanzte 250-Liter-Aquarium und beruhigte sich ein wenig. Ja, die Fische dort hatten es gut. Sie wussten gar nicht, was in der Außenwelt alles so passierte. Sie wussten gar nicht, dass es überhaupt eine Außenwelt gab. Als Fiona dann im Bett lag und hoffte, schnell einzuschlafen, sah sie dauernd ein Bild vor sich schweben: Ernsts Jacke und sein liebstes Paar Schuhe am Eingang seiner Wohnung. Die Schuhe waren immer noch so platziert, wie er sie wahrscheinlich das letzte Mal hingestellt hatte. Vaters Jacke hing wie üblich am Kleiderständer. Obwohl die Wohnung praktisch leer war, sah es so aus, als ob er nur kurz weggegangen sei und bald wieder zurückkommen würde. Weder Sibylla noch Markus hatten es gewagt, die Schuhe und die Jacke zu entfernen. Beim Betrachten dieses Bildes hatte Fiona das Gefühl, ihr Vater sei immer noch anwesend. Durch seine Lieblingsschuhe und seine Jacke war die Wohnung immer noch bewohnt; sie konnte seine Präsenz spüren.
    In der Nacht schlief sie sehr schlecht. Das überraschte sie nicht, denn sie schlief eigentlich immer schlecht – mal mehr, mal weniger. Obwohl sie daran gewöhnt war, regte sie sich aber doch wieder darüber auf: Wieso hatte sie diese Fähigkeit nicht, normal schlafen zu können? Sie drehte sich andauernd um und schwitze literweise. Sie träumte, war dabei aber doch halb wach. Sie sah viele Bilder vorbeiziehen: Sie sah Markus grinsen, dann war sie in Vaters Wohnung und er war am Leben. Sie empfand eine riesige Erleichterung, die sich in Grauen umwandelte, als sie mit ihm sprechen wollte, sich zu ihm umdrehte und er plötzlich tot auf dem Bett lag.
    Wessen Schuld war es? Es war ihr wichtig, das zu klären: Wer war schuld? Klar, das würde den Toten nicht zurückbringen, aber trotzdem musste man es wissen, fand sie. Wieso war er tot? Hatte er sich wirklich das Leben genommen? Was hatte Fiona selbst für eine Rolle gespielt? Aber er hatte es ja gewollt, so alleine zu sein … Und Sibylla? Wo war sie gewesen, als es passiert war?
    War es richtig gewesen, dass sie nicht zur Beerdigung gegangen war? Ihn kein letztes Mal mehr gesehen hatte? War die Beerdigung für die Lebenden wichtig oder für die Toten? Nachdem Ernsts Körper wegen der Autopsie einige Tagen in einem Gebäude der Gerichtsmedizin gekühlt aufbewahrt worden war, war er in ein Zimmer des Friedhofes verlegt worden – dort hätte sie ihn ein letztes Mal sehen können. Fiona war aber nicht hingegangen, weil er sich beim Aufprall auf dem Tisch das Gesicht verletzt hatte – Markus hatte von einem üblen Loch gesprochen. Der wirkliche Grund für Fionas fehlenden Besuch war aber, dass sie Angst hatte: Sie hatte ihn schon seit vier Jahren nicht mehr gesehen und wusste nicht, wie er aussah. War er gealtert? Waren seine Haare komplett weiß geworden? Würde sie noch mehr Schuld empfinden, wenn sie ihn so sähe?
    Fiona war schockiert gewesen, als sie von dem Loch erfahren hatte: „Ein Loch?“, hatte sie erstaunt und gleichzeitig empört gefragt.
    „Ja, ein Loch“, hatte Markus ganz ruhig geantwortet. „Vater ist in der Küche gestürzt und dabei mit dem Gesicht auf die Ecke des Tisches geprallt. Anschließend fiel er auf den Boden, wo die Scherben lagen, deswegen hat er auch einige Schnitte im Gesicht.“
    „Was hat Vater nachts in der Küche gemacht? Wieso war er überhaupt dort?“
    „Ich weiß es auch nicht. Es sah so aus, als ob er zuvor im Bett gelegen hatte, aber gefunden wurde er auf dem Küchenboden. Er trug seinen neuen Pyjama. Anscheinend hatten die Tabletten nicht genug oder nicht schnell genug gewirkt, deshalb hat er noch mehr Tabletten genommen, mit einem Glas Wasser. Zwei leere Tablettenpackungen lagen auf der Abdeckung in der Küche.“
    Fiona war fassungslos gewesen. „Aber er war doch Arzt! Er hätte doch wissen müssen, wann die Wirkung der Tabletten einsetzt. Wieso ist er nicht im Bett liegengeblieben?“
    „Du weißt ja, wie er ist“, hatte Markus gesagt und hinzugefügt: „oder war. Er war schon immer ein ungeduldiger Mensch gewesen. Es ist ihm einfach nicht schnell genug gegangen … und wir alle wussten ja, das er es eines Tages tun würde.“
    „Ja, aber wieso?!“, hatte Fiona gefragt, ohne auf eine Antwort zu

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