Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Lebensmittel und der Brennstoff und der Platz reichten sonst nicht aus. Im Büro des Gouverneurs diskutierte man über eine Erweiterung der Mauern, dann würde das Verbot vielleicht aufgehoben werden. Für sie wäre das jedoch wahrscheinlich zu spät.
Und Vor– tja, was konnte sie da machen? Boz’ Tod war eine unüberwindliche Barriere im Kopf dieses Mannes, und die Wahrheit war im Laufe der Jahre verzerrt und aufgebauscht worden, bis sie zur großen Verwundung seines Lebens geworden war. Tifty war Tifty, und das würde immer so sein. An einem Tag steckte man ihn ins Gefängnis, weil er in einer Kneipenschlägerei einen Mann mit dem Kopf voran durch das Fenster geworfen hatte, und am nächsten erschien er in der glühenden Nachmittagssonne mit einem Laster voll Wassermelonen, die er mit irgendeinem Tifty-Zaubertrick auf dem Schwarzmarkt besorgt hatte. Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, wann er endgültig im Gefängnis landete. Aber es führte kein Weg daran vorbei: Tifty würde immer zu ihnen gehören. Zu Dee vor allem. Manchmal schaute Dee ihre ältere Tochter an und wusste wirklich nicht, was die Wahrheit war. Das eine war möglich, das andere auch. In einem bestimmten Licht sah Nitia ganz wie Vor aus, doch dann lächelte das kleine Mädchen auf eine bestimmte Weise oder kniff die Augen zu diesem speziellen Blinzeln zusammen, und da war Tifty Lamont.
Eine einzige Nacht, noch nicht einmal. Die ganze Sache, ihre komplette Affäre, hatte von Anfang bis Ende eher neunzig Minuten gedauert. Wie konnten neunzig Minuten in einem Leben so viel bedeuten? Dee und Tifty waren sich danach einig gewesen, dass es ein schrecklicher Fehler gewesen war– unausweichlich vielleicht, angetrieben von einer Kraft, die all die Jahre da gewesen war und gegen die sie beide nichts ausrichten konnten. Aber es war nichts, das wiederholt werden würde. Sie beide liebten Vor oder etwa nicht? Sie machten einen Riesenwitz daraus, besiegelten den Deal sogar mit einem Händedruck wie zwei alte Freunde, die sie ja waren. Doch es war kein Witz gewesen, nicht damals und nicht neun Monate später, und es war auch jetzt kein Witz.
Ich werde nie zulassen, dass dir etwas passiert, sagte Tifty zu ihr, nicht nur an diesem Abend, sondern oft, an vielen Abenden. Nicht dir, nicht den Mädchen, nicht Vor. Das ist ein feierliches Versprechen, ein Gelübde vor Gott. Ich werde der Boden unter deinen Füßen sein. Du sollst immer wissen, dass ich da bin. Und so war es auch. Dee wusste es. Wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, dann war die Idee, heute ein Sommerpicknick zu veranstalten, nur Wirklichkeit geworden, weil Tifty versprochen hatte mitzukommen.
Liebte sie ihn? Und wenn ja, welche Art von Liebe war es? Ihre Gefühle für Tifty waren anders als die für Vor. Ihr Mann war beständig und zuverlässig. Ein Geschöpf der Pflicht und der Ausdauer und ein guter Vater für die Mädchen. Solide, wo Tifty windig war. Irgendwelche Gerüchte kursierten immer über ihn. Es stand außer Frage, dass sie und Vor zueinander gehörten; das war nie ein Thema gewesen. Wenn sie ganz für sich allein im Dunkeln waren, sprach er ihren Namen mit so viel Sehnsucht aus, dass es schmerzhaft klang, als seien seine Gefühle für sie beinahe unerträglich. So sehr liebte Vor sie. Er gab ihr das Gefühl… ja, welches? Ganz im Leben zu stehen. Als ob sie, Dee Vorhees– Ehefrau und Mutter, Tochter von Sis und Jedediah Crukshank, jetzt bei Gott, Bürgerin von Kerrville, Texas, der letzten Oase des Lichts und der Sicherheit in einer Welt, die beides nicht mehr kannte–, als ob sie tatsächlich existierte.
Warum also dachte sie jetzt wieder an Tifty Lamont?
Aber zurück zu den Karten und diesem heißen-heißen-heißen Julinachmittag, an dem sie die Kinder auf das Feld hinausgebracht hatten. Dees Gedanken waren so weit abgeschweift, dass sie nicht bemerkt hatte, was Cece machte. Ehe sie sichs versah, hatte die Frau sie mit triumphierendem Grinsen erfolgreich dazu verleitet, die Dame zu nehmen. Zwei Stiche, drei, und dann war es vorbei. Cece notierte genüsslich die Punkte auf dem Papier.
» Noch mal?«
Normalerweise hätte Dee Ja gesagt, und sei es nur, um sich die Zeit zu vertreiben, doch in dieser Hitze kam das Spiel ihr vor wie Arbeit.
» Vielleicht hat Ali Lust zum Spielen.«
Die Frau, die unter das Zeltdach gekommen war, um Wasser zu trinken, winkte ab und hob die Kelle an die Lippen. » Auf keinen Fall.«
» Na los, nur ein, zwei Runden«, sagte Cece. »
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