Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
Vom Netzwerk:
hat er uns verlassen?«
    » Was soll das heißen, er hat euch verlassen?«
    Mit einer suchenden Gebärde hob der Mann die Hand zu Alicias Gewehrlauf, umschlang ihn mit der Faust und drückte die Mündung an seinen Kopf.
    » Bitte«, sagte er. » Töte mich.«
    Es waren Fledermäuse. Hunderte von Fledermäusen, Tausende, Millionen. Sie kamen explosionsartig von der Tunneldecke und von allen Seiten, eine feste, fliegende Masse, die Dodds Sinne mit ihrer Wärme, ihrem Gewicht, ihrem Geräusch, ihrem Geruch überflutete. Wie eine Woge brandeten sie gegen ihn und sogen ihn in einen Strudel reiner, animalischer Raserei. Wie von Sinnen schwenkte er die Arme, um sie von seinem Gesicht und seinen Augen abzulenken. Er fühlte die Stiche ihrer Zähne, als sie seine Haut durchbohrten wie eine Reihe von Nadeln. Sie werden dich in Stücke reißen, sagte sein Verstand ihm; so wird es zu Ende gehen. Dein furchtbares Schicksal ist es, in dieser Höhle zu sterben, in Fetzen gerissen von Fledermäusen. Dodd schrie, und als er schrie, erreichte der Schmerz seinen Höhepunkt. Geist und Körper verfielen in Agonie. Er kippte vorwärts, auf den Zünder mit seinen blinkenden Lampen und Schaltern zu– wie ein langsam fallender Hammer–, und sein einziger Gedanke war o Scheiße. Es war auch sein letzter.
    Die Druckwelle des vorzeitig gezündeten Sprengsatzes schoss mit der Kraft einer durchgehenden Lokomotive aus dem Tunnel in den Komplex von Hallen und Hohlräumen und erreichte den Königspalast als furchtbarer Knall, überlagert von einem Hochdruckkrachen und einem tiefen, unterirdischen Beben. Dann taumelte der Boden zum zweiten Mal wie das Deck eines Bootes, das von einer riesigen Welle geschüttelt wird. Das Ereignis war zu gleichen Teilen atmosphärisch, akustisch, kalorisch und seismisch, und es war stark genug, um den Kern der Erde in Aufruhr zu bringen.
    Man kannte sie als Hänger: schlafende Virals, die mit stark verlangsamtem Stoffwechsel wie in einem ausgedehnten Winterschlaf existierten. In diesem Zustand konnten sie Jahre oder sogar Jahrzehnte überdauern, und aus unbekannten Gründen– vielleicht war es ein Ausdruck ihrer biologischen Nähe zu Fledermäusen– bevorzugten sie es, kopfüber an irgendeiner Halt bietenden Oberfläche zu hängen, die Arme seltsam säuberlich verschränkt wie Mumien in ihrem Sarkophag. In den verschiedenen Räumen der Carlsberg-Höhle (nur nicht im Königspalast, denn der gehörte Ignacio allein) warteten sie, ein Riesenheer vor sich hin dämmernder lebender Stalaktiten, eine schlafende Armee aus leuchtenden Eiszapfen, die durch die Detonation der Bombe jäh aufgeschreckt wurde. Wie jedes Lebewesen nahmen sie eine derartige Veränderung der Umgebung als lebensbedrohlich wahr, und wie Virals brachte die Witterung von menschlichem Blut sie sofort zu sich.
    Peter und Alicia rannten.
    Wenn Alicia allein gewesen wäre, hätte sie vielleicht Widerstand geleistet. Die Horde hätte sie verschlungen, aber es lag so tief verwurzelt in ihrer Natur, sich umzudrehen und zu kämpfen, dass dieses unmögliche Unternehmen ihr eine seltsame Befriedigung verschafft hätte: Das Schicksal wollte es so, es wäre ein ehrbarer Abgang aus der Welt. Aber Peter war bei ihr, und es war sein Blut, nicht ihres, das die Virals wollten. In einem Strom kamen die Kreaturen auf sie zu und füllten die unterirdischen Kanäle der Höhle wie das Wasser einer Überschwemmung. Die Entfernung bis zum Aufzug– grob geschätzt einhundert Meter– schien mehrere Meilen zu betragen. Die Virals waren ihnen fauchend auf den Fersen. Im vollen Lauf erreichten sie den Aufzug. Für die Sprengladung war keine Zeit; die geplante Strategie war jetzt gegenstandslos. Alicia raffte das Paket vom Boden des Aufzugs auf, packte Peter beim Handgelenk, schob ihn mit dem Knie durch die Deckenluke und stemmte sich hinter ihm hinauf. Mit metallischem Dröhnen landete sie oben auf dem Dach.
    » Schnapp dir ein Kabel!«, schrie sie.
    Er starrte sie verständnislos an.
    » Mach schon, und halt dich fest!«
    Begriff er, was sie vorhatte? Unwichtig: Peter gehorchte. Alicia ließ das Sprengstoffpaket auf das Dach fallen, zielte mit dem Gewehr auf die Kabelbefestigung und drückte ab.
    Von der Masse der Aufzugkabine befreit, sausten die Gegengewichte abwärts. Ein harter Ruck, und schon schossen sie raketenartig nach oben. Peter erlebte die Aufwärtsfahrt nur verschwommen. Er konzentrierte sich auf seine Hände, denn sie waren das Einzige, was ihn noch mit dem Leben

Weitere Kostenlose Bücher