Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
zünden, bevor er wieder draußen wäre, würde sein Team es tun und ihn damit umbringen. Sein einziger Gedanke war es, unten anzukommen , de n Zünder zu reparieren und wieder nach oben zu verschwinden.
Da war er. Der Empfänger. Dodd hatte ihn auf einem glatten, tischähnlichen Felsblock an der Mündung des Tunnels zurückgelassen. Jetzt lag er auf dem Boden, auf der Seite. Welche Kraft hatte ihn heruntergestoßen? Dodd ließ sich auf die Knie fallen. Seine Brust rang nach Atem. Der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht. Ein grässlicher Gestank hing in der Luft. Behutsam nahm er das Gerät in die Hand. Es hatte zwei Schalter; der eine stellte den Zünder scharf, der andere schloss den Stromkreis und zündete die Bombe. Warum funktionierte das Ding nicht? Aber dann begriff er, dass die Antenne sich gelöst hatte; beim Herunterfallen war sie zur Seite gebogen worden. Er nahm einen Schraubenzieher aus seiner Tasche.
Die Decke hatte angefangen, sich zu bewegen.
Alicia bemerkte zuerst die Knochen. Die Knochen und den Geruch, einen überwältigenden Gestank– ekelhaft, biologisch, wie die aufgestauten Gase in einem Grab. Alicia tat einen Schritt nach vorn. Als ihr Stiefel den Boden berührte, fühlte– und hörte– sie das Knirschen von Knochen. Das Skelett von irgendetwas Kleinem. Die Winzigkeit des Schädels, die spöttisch grinsenden Zähne: eine Art Ratte? Ihr Gesichtsfeld erweiterte sich. Der Boden war bedeckt mit den spröden Knochenresten, am manchen Stellen knie- oder sogar hüfthoch.
Wo bist du?, dachte sie. Zeig dich, du Schwein. Ich habe eine Nachricht von Louise.
Martínez war nah, sehr nah. Sie konnte ihn praktisch greifen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren erlebte Alicia den Geschmack der Angst, doch es war mehr als das: Sie empfand Hass. Seine reine Kraft durchströmte sie bis in die Fingerspitzen und fesselte sie. Es war, als habe ihr ganzes Leben auf diesen Augenblick gezielt. Martínez war das große Elend der Welt. Sie suchte keinen Ruhm oder auch nur Gerechtigkeit. Sie wollte Rache, und es ging ihr nicht um seinen Tod, sondern um den Akt des Tötens. Sie wollte sagen: Das ist von Louise. Sie wollte fühlen, wie das Leben unter ihren Händen aus ihm wich.
Komm zu mir. Komm zu mir.
Aus der Dunkelheit löste sich eine Gestalt. Weiße Haut schimmerte im Strahl ihres Scheinwerfers. Alicia erstarrte. Was zum Teufel…? Sie ging einen Schritt weiter und noch einen.
Es war ein Mann.
Eine Ruine von einem Menschen, älter als alt, ausgemergelt, eine Knochenfigur, die Haut farblos ausgebleicht, beinahe durchscheinend. Nackt kauerte er auf dem Boden der Höhle. Als das Licht ihres Gewehrscheinwerfers über sein Gesicht strich, zuckte er nicht; seine Augen waren wie Steine, blind und unbeweglich. Eine Fledermaus zappelte in seinen Händen. Ihre langen, windvogelartigen Flügel, feine Membranen, die sich über die zarten, fächerförmig gespreizten Knochenfinger spannten, flatterten hilflos. Der Mann hob die Fledermaus an sein Gesicht, und mit schockierender Kraft umschloss er den zierlichen Kopf mit seinen Lippen. Ein letztes, gedämpftes Quieken, ein Zittern des Flügels, dann ein Knacken. Der Mann zog den Körper mit einer Drehbewegung zur Seite und spuckte den Kopf aus. Er drückte den Körper an die Lippen und begann kräftig zu saugen. Er wiegte sich dazu, und ein leises, beinahe kindliches Gurren kam aus seiner Kehle.
Alicias Stimme klang schwerfällig und laut in der weiten Höhle, als wäre es ein Frevel, ein Schweigen zu brechen, das hier seit Jahrzehnten herrschte.
» Wer zum Teufel bist du?«
Der Mann richtete sein blindes, starres Gesicht dahin, wo die Stimme herkam. Blut glänzte an seinem Mund und seinem Kinn. Jetzt sah Alicia eine bläuliche Zeichnung, die seitlich an seinem Hals heraufkroch. Es war das Bild einer Schlange.
» Antworte!«
Ein leises Pusten, mehr Luft als Stimme. » Ig… Ig…«
» Ig? Ist das dein Name? Ig?«
» …nacio.« Seine Stirn legte sich in Falten. » Ignacio.«
Hinter ihr knirschten Schritte auf den Knochen. Alicia fuhr herum, und der Lichtstrahl von Peters Gewehr glitt über ihr Gesicht.
» Ich habe gesagt, du sollst warten.«
Peters Gesicht war ausdruckslos, wie gebannt vom Anblick des Mannes, der da auf dem Boden kauerte.
Alicia drückte dem Mann die Gewehrmündung an die Stirn. » Wo ist er? Wo ist Martínez?«
Tränen quollen aus den blicklosen Augen. » Er hat uns verlassen.« Seine Stimme war ein schmerzliches Stöhnen. » Warum
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