Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Kompressor ausschalten. Dann schaute er Ed ins Gesicht. » Rede mit mir, Mann.«
Ein mädchenhaftes Kichern kam über Eds Lippen. Er rang nach Atem und hob eine Hand an seine Sichtscheibe. » Ashblass. Minfuth. Minfuth!«
Michael sah, was gleich passieren würde. Als Ed nach seiner Sauerstoffmaske griff, packte er ihn bei den Armen. Der Mann war kein Jüngling mehr, aber ein Schwächling war er auch nicht. Er wand sich wütend in Michaels Griff und versuchte, sich zu befreien. Sein Gesicht war vor lauter Panik blau angelaufen. Nein, keine Panik, begriff Michael: Das war Sauerstoffmangel. Er zuckte krampfhaft am ganzen Körper, seine Knie knickten ein, und er fiel Michael mit seinem ganzen Gewicht krachend in die Arme.
» Ceps, hilf mir, ihn rauszuschaffen!«
Ceps packte den Mann bei den Füßen. Ed war völlig schlaff. Zusammen schleppten sie ihn zur Luke.
» Holt ihn hier raus, los!«, schrie Michael.
Draußen erschienen Hände und zogen, und Michael und Ceps schoben die Gestalt hinaus. Michael stürzte durch die Luke, riss sich Maske und Handschuhe herunter, sowie er an der frischen Luft war. Ed lag auf dem Rücken auf der harten Erde; jemand hatte ihm Maske und Atemgerät abgenommen. Michael fiel neben ihm auf die Knie. Die Stille ließ nichts Gutes ahnen: Der Mann atmete nicht. Michael drückte den Handballen der rechten Hand mitten auf seine Brust, legte die linke Hand darauf, verschränkte die Finger und drückte zu. Nichts. Er drückte noch einmal und noch einmal und zählte bis dreißig, wie er es gelernt hatte. Dann schob er Ed eine Hand in den Nacken und hob ihn an, um die Atemwege freizumachen, und mit der anderen Hand hielt er ihm die Nase zu und drückte den Mund auf die blauen Lippen. Er blies einen Atemzug hinein, zwei, drei. Alle seine Gedanken richteten sich auf ein einziges Ziel. Alles schien verloren, als er eine scharfe Kontraktion des Zwerchfells fühlte. Eds Brust weitete sich und sog einen voluminösen Atemzug ein. Er drehte den Kopf zur Seite und keuchte und hustete.
Michael wippte auf den Fersen zurück und landete mit dem Hintern im Staub. Sein Puls raste. Jemand reichte Ed eine Wasserflasche: Ceps.
» Alles okay, Kumpel?«
Ed begriff die Frage nicht. Er nahm einen großen Schluck Wasser, spülte sich den Mund aus und spuckte es weg. » Ja.«
Irgendwann half ihm jemand beim Aufstehen. Michael und Ceps führten ihn in die Baracke und setzten ihn auf eine der Bänke.
» Wie fühlst du dich?«, fragte Michael.
Ein bisschen Farbe war in seine Wangen zurückgekehrt, aber seine Haut sah immer noch feucht und kalt aus. Kläglich schüttelte er den Kopf. » Ich weiß nicht, was da passiert ist. Ich könnte schwören, ich habe meinen Sauerstoff gecheckt.«
Michael hatte schon nachgesehen. Die Flaschen waren leer. » Vielleicht ist es Zeit, Ed.«
» Meine Güte, Michael, willst du mich rausschmeißen?«
» Nein. Das ist deine eigene Entscheidung. Ich finde nur, es ist keine Schande, wenn man sagt, jetzt ist Feierabend.« Als Ed nicht antwortete, stand Michael auf. » Überleg’s dir. Ich stehe hinter dir, egal wie du dich entscheidest. Willst du mitfahren in die Unterkunft?«
Ed starrte trostlos ins Leere, und Michael las die Wahrheit in seinem Gesicht: Der Mann hatte nichts anderes.
» Ich glaube, ich bleibe ein Weilchen hier sitzen. Bis ich wieder zu Kräften komme.«
Als Michael aus der Baracke kam, lungerte der Rest der Crew vor der Tür herum. » Wieso zum Teufel steht ihr hier rum?«
» Die Schicht ist vorbei, Boss.«
Michael sah auf die Uhr. Tatsächlich.
» Aber nicht für uns. Die Show ist zu Ende, Leute. Schleppt eure faulen Ärsche zurück an die Arbeit.«
Es war nach Mitternacht, als Lore zu ihm sagte: » Ein Glück, die Sache mit Ed.«
Sie lagen ineinandergerollt in Michaels Koje. Lore hatte sich nach Kräften bemüht, aber sie hatte seine Gedanken nicht von den Ereignissen des Tages ablenken können. Wenn er die Augen schloss, sah er immer nur Eds Gesicht in der Baracke: das Gesicht eines Mannes, der zum Galgen geführt wurde.
» Was meinst du mit Glück?«
» Dass du da warst, meine ich. Das, was du getan hast.«
» Das war nichts weiter.«
» Doch. Der Mann hätte sterben können. Woher wusstest du, was man da tut?«
Die Vergangenheit wurde wieder wach, eine Welle des Schmerzes stieg in ihm auf.
» Meine Schwester hat es mir beigebracht«, sagte er. » Sie war Krankenschwester.«
30
Die Stadt Kerrville, Texas
Sie kamen nach dem Regen. Erst sahen sie die
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