Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
guten Nachricht gesagt?«
» Wie man’s nimmt. Vom Standpunkt der Redefreiheit aus ist es wahrscheinlich nicht die allerbeste, aber wie es aussieht, hat jemand dem Irren in Denver endlich das Maul gestopft. Ich vermute, es war die NSA – oder eins von Lears kleinen Schätzchen hat ihn schließlich erwischt. So oder so, der Typ ist endgültig offline.«
» Last Stand in Denver«: Guilder hatte seine Videos gesehen wie alle andern auch. Mut hatte der Kerl, das musste man ihm lassen. Theorien über seine Identität gab es im Überfluss, aber man war sich weitgehend darüber einig, dass er ein ehemaliger Soldat sein musste, wahrscheinlich Special Forces oder SEALS .
» Und was ist die schlechte Nachricht?«
» Von der Seuchenkontrolle sind neue Zahlen gekommen. Der ursprüngliche Algorithmus hat anscheinend nicht angemessen berücksichtigt, wie viel diese Dinger fressen. Ich hätt’s ihnen sagen können, wenn sie mich gefragt hätten. Entweder das, oder ein Praktikant hat eine Dezimalstelle verschoben, als er davon träumte, wie er seine Freundin das letzte Mal genagelt hat.«
Wenn man mit Nelson redete, hatte man manchmal das Gefühl, man versuchte, einen Fünfjährigen zu bändigen. Einen genialen Fünfjährigen, aber trotzdem… » Bitte spucken Sie es einfach aus.«
Nelson zuckte die Achseln. » Wie die Dinge jetzt liegen und auf der Grundlage der neuesten Projektionen, sieht es so aus, als hätten wir es mit einer knapperen Deadline zu tun. Etwa im Bereich von neununddreißig Tagen.«
» Für die Küsten, meinen Sie?«
» Äh, nicht ganz.«
» Sondern?«
» Für den gesamten nordamerikanischen Kontinent.«
Ein grauer Schatten zog durch Guilders Gesichtsfeld, und er musste sich hinsetzen.
» Die Seuchenkontrolle hat bereits eine Gegenmaßnahme in Arbeit«, fuhr Nelson fort. » Ich nehme an, sie werden versuchen, das Virus auszubrennen. Zuerst die großen Bevölkerungszentren, dann alles, was danach noch übrig ist.«
» Allmächtiger.«
Nelson runzelte kaltblütig die Stirn. » Ein geringer Preis, alles in allem gesehen. Ich weiß, was ich tun würde, wenn ich beispielsweise der russische Präsident wäre. Nie im Leben würde ich zulassen, dass es über den großen Teich springt.«
Der Mann hatte recht, und Guilder wusste es. Er merkte, dass seine rechte Hand angefangen hatte zu zittern; er hielt sie mit der Linken fest, um die Zuckungen unter Kontrolle zu bringen, und bemühte sich gleichzeitig, diese Geste natürlich aussehen zu lassen.
» Alles okay mit Ihnen, Boss?«
Sein rechter Fuß zitterte jetzt auch. Er verspürte einen unerklärlichen Drang zum Lachen. Wahrscheinlich war es der Stress. Er schluckte angestrengt und schmeckte Galle in der Kehle.
» Finden Sie das Mädchen.«
Als Nelson gegangen war, blieb Guilder ein paar Minuten sitzen und versuchte, sich zu sammeln. Das Zittern war vorbei, aber der Drang zum Lachen nicht– das Symptom war bekannt unter der euphemistischen Bezeichnung » emotionale Inkontinenz«. Schließlich gab er einfach nach und stieß ein einzelnes, befreiendes Kläffen aus. Gott, er klang wie ein Besessener. Hoffentlich hatte ihn draußen niemand gehört.
Er verließ das Gebäude, holte seinen Wagen– einen beigefarbenen Toyota Camry– aus der Parkgarage und fuhr zu seinem Townhouse in Arlington. Er hatte sich frischmachen wollen, plötzlich war ihm das jedoch zu viel Aufwand. Er nahm sich einen Scotch und schaltete den Fernseher ein. Die Networks bis hin zum Weather Channel hatten nicht lange gebraucht, um die Katastrophe mit einem eingängigen Slogan zu behängen ( » Nation in der Krise« usw.), und alle Moderatoren sahen gehetzt und übernächtigt aus, vor allem diejenigen, die vom Rand irgendeines Highways aus berichteten– ein Maisfeld im Hintergrund, lange Autoschlangen im Kriechtempo, sinnloses Gehupe. Das ganze Land fraß sich fest wie ein kaputtes Getriebe. Er sah auf die Uhr: 20.05Uhr. In weniger als einer Stunde würde es in der Mitte des Landes dunkel werden.
Er stemmte seinen widerwilligen Körper vom Sofa und stieg die Treppe hinauf. Treppensteigen– das war ein Punkt, um den er sich für die Zukunft Sorgen machte. Was würde er tun, wenn er irgendwann einmal die Treppe nicht mehr hochkam? Im großen Badezimmer drehte er die Dusche auf und zog sich bis auf die Unterhose aus. Während das Wasser warm wurde, betrachtete er sich im Spiegel. Das Komische war, er sah nicht besonders krank aus. Ein bisschen dünner vielleicht. Es hatte eine Zeit
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