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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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waren nun fort, und nichts würde mehr passieren, bis sie auf dem Boden aufschlugen.
    Lawrence Grey erlebte den Crash als einen Schnitt in der Zeit: Gerade noch fühlte er sich in einer Todesspirale an die Innenwand des Helikopters gepresst, und im nächsten Moment lag er in einem Wrack. Er spürte den Aufschlag, ohne dass er sich nachher nennenswert daran erinnern konnte; nur das vibrierende Gefühl in seinem Körper war noch da, als wäre er eine Glocke, die gerade geschlagen hatte. Es roch nach Treibstoff und heißem Isoliermaterial, und man hörte ein elektrisches Knattern. Etwas Schweres, unbeweglich Weiches lag auf ihm. Es war Guilder. Der Mann atmete, war aber besinnungslos. Der Hubschrauber oder das, was davon noch übrig war, lag auf der Seite. Wo das Dach hätte sein sollen, war jetzt die Luke.
    » Lawrence, hilf mir!«
    Die Stimme war hinter ihm. Er schob Guilder von seiner Brust herunter und tastete sich wie ein großes, blindes Tier ins Heck des Helikopters. Eine der Bänke hatte sich losgerissen; sie lag quer über Lilas Hüften und klemmte sie ein. Ihre nackten Beine und der dünne Stoff ihres Hemdes– alles glänzte von dickem, dunklem Blut.
    » Hilf mir«, brachte sie erstickt hervor. Ihre Augen waren geschlossen, und Tränen quollen aus den Augenwinkeln. » Bitte, lieber Gott, hilf mir. Ich blute, ich blute.«
    Er versuchte, sie an den Füßen herauszuziehen, aber Lila fing vor Schmerzen an zu schreien. Es ging nicht anders, er musste die Bank wegschieben. Er packte das Gestell und fing an zu drehen. Ein Stöhnen, ein Knacken, und die Bank riss aus der Befestigung.
    Lila schluchzte und stöhnte vor Schmerzen. Grey wusste, dass er sie besser nicht bewegte, aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Er wuchtete die Bank unter die offene Luke, nahm Lila auf die Schulter, stieg hinauf und schob sie hinaus. Dann folgte er ihr auf der anderen Seite. Er rutschte außen am Rumpf hinunter, ging um das Wrack herum, langte hinauf, um sie zu fassen, und ließ sie an der Seite heruntergleiten.
    » O Gott. Bitte mach, dass ich sie nicht verliere. Dass ich das Baby nicht verliere.«
    Er legte Lila behutsam auf den Boden, der von Trümmern des zerstörten Labors übersät war. Verbogene Stahlträger, Brocken von gesprengtem Beton, Glasscherben. Er weinte jetzt auch. Es war zu spät, das wusste er; das Baby war weg. Schwarz verklumptes Blut quoll stoßweise zwischen Lilas Beinen hervor, unaufhaltsam. Gleich würde sie ihrem Baby in die Dunkelheit folgen. Ein Gebet aus der Kindheit fand den Weg auf Greys Lippen, und er fing an zu murmeln, immer wieder: » Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes, Amen. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes, Amen…«
    Rette sie, Grey.
    Du weißt, was du tun musst.
    Ja. Er wusste es. Die Antwort war die ganze Zeit in ihm gewesen. Seit dem » Red Roof« und Ignacio und dem Home Depot und Projekt NOAH und lange vorher.
    Siehst du, Grey?
    Er hob den Kopf und sah sie. Die Virals. Sie waren überall und ringsherum, kamen aus der Dunkelheit und dem Feuer: Fleisch von seinem Fleisch, unheilig und vom Blut getrieben, umkreisten sie ihn wie ein dämonischer Chor. Er kniete vor ihnen, und sein Gesicht war tränennass. Er verspürte keine Angst, sondern nur Staunen.
    Sie sind dein, Grey. Es sind die, die ich dir gebe.
    – Ja. Sie sind mein.
    Rette sie. Tu es.
    Er brauchte etwas Scharfes. Blindlings tastete seine Hand über den Boden, fand einen Splitter aus Metall, eine zerbrochene Scherbe aus einer Welt von zerbrochenen Teilen. Zwanzig Zentimeter lang, die Ränder gezackt wie bei einer Säge. Er legte sie der Länge nach auf sein Handgelenk, schloss die Augen und riss einen tiefen Schnitt in seine Haut. Das Blut spritzte hervor, ein breiter, dunkler Fluss, der seine Handfläche füllte. Das Blut Greys, des Entfesslers der Nacht, des Vertrauten dessen, der Zero genannt wurde. Lila stöhnte. Sie würde sterben; jeder Atemzug konnte der letzte sein. Ein kurzes Zögern noch, und dann legte Grey das Handgelenk auf ihre Lippen, zärtlich wie eine Mutter, die ihre Brust in den Mund des neugeborenen Babys schiebt.
    » Trink«, sagte er.
    Grey sah ihn nicht einmal: den Betonbrocken, vierunddreißig Pfund massives Gestein, den Guilder mit aller Kraft, die er noch aufbringen konnte, über Greys Kopf in die Höhe hob und auf ihn niederfahren ließ.

22
    Sie kamen nach Chicago, als die Sonne unterging

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