Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
und den Himmel mit goldenem Licht erfüllte. Erst war da der äußere Ring der Vororte, leer und still, und dann die Silhouette der Stadt, die vor ihnen aufragte wie eine Verheißung. Die einsamen Überlebenden, miteinander vereint durch das geheimnisvolle Band ihrer Rettung– sie reisten schweigend, Träumer in einem vergessenen Land, und nur das Dröhnen des Motors und das hypnotisierende Rauschen der Räder auf dem Asphalt unter dem Bus ließen sie spüren, dass sie vorankamen. Geister saßen neben ihnen, die Menschen, die sie verloren hatten.
Als die Stadt sichtbar wurde, beugte Pastor Don sich auf seinem Sitz hinter Danny nach vorn. Hubschrauber schwebten über der Stadt, schwirrten um die Hochhäuser wie Bienen um ihren Stock. Hoch über ihnen zogen sich die Kondensstreifen vorüberfliegender Flugzeuge wie bunte Bänder durch das dunkler werdende Blau. Eine Sicherheitszone, wie es schien, aber das konnte nicht von Dauer sein. Im Grunde ihres Herzens wussten alle, dass es Sicherheit nicht mehr gab.
» Lass uns kurz anhalten.«
Danny steuerte den Bus an den Straßenrand. Pastor Don erhob sich und wandte sich an die Gruppe. Die Entscheidung liege bei ihnen. Sollten sie haltmachen oder weiterfahren? Sie hatten den Bus, sie hatten Wasser, Proviant, Diesel. Niemand wusste, was sie erwartete. Nehmt euch einen Augenblick Zeit, sagte Pastor Don.
Murmelnd gaben sie ihr Einverständnis, und dann stimmten sie ab. Die Entscheidung war einstimmig.
» Okay, Danny.«
Sie fuhren südlich um die Stadt herum und weiter auf einer Landstraße nach Osten. Die Nacht senkte sich herab wie eine Kuppel, die sich über die Erde stülpte. Bei Tagesanbruch waren sie irgendwo in Ohio. Die Landschaft war nichtssagend– sie hätten überall sein können. Die Zeit verging nur noch schleichend. Felder, Bäume, Häuser, Postkästen zogen vorbei, und der Horizont entrollte sich vor ihnen, stets unerreichbar. In den Kleinstädten gab es noch einen Anschein von Leben; die Leute hatten keine Ahnung, wo sie hingehen und was sie tun sollten. Die Highways, hieß es überall, waren verstopft. In einem Mini-Mart, wo sie ihre Vorräte auffüllen wollten, schaute die Kassiererin durch das Fenster hinaus zum Bus und fragte: Kann ich mitfahren? Ein Fernseher an der Wand hinter ihrem Kopf zeigte eine brennende Stadt. Sie sprach mit gedämpfter Stimme, damit man sie nicht hörte, und sie wollte nicht wissen, wohin sie fuhren. Nur weg, das war die Hauptsache. Ein kurzes Telefonat, und wenige Minuten später standen ihr Mann und ihre beiden Söhne mit Koffern am Bus.
Andere kamen dazu. Ein Mann im Overall wanderte mit einem Gewehr über der Schulter allein die Landstraße entlang. Ein älteres Ehepaar, gekleidet wie für die Kirche, hatte am Straßenrand anhalten müssen, weil der Wagen nicht weiterfuhr. Die Haube stand offen, und Dampf strömte aus dem gerissenen Kühler. Zwei Radfahrer, Franzosen, waren auf einer Tour quer durch das Land gewesen, als das Unheil losgebrochen war. Ganze Familien drängten sich an Bord. Wie Fische, die sich einem Schwarm anschließen, mischten sie sich unter sie. Großstädte umfuhren sie weiträumig: Columbus, Acron, Youngstown, Pittsburgh. Sogar die Namen klangen schon historisch, als wären es Städte eines untergegangenen Imperiums: Gizeh. Karthago. Pompeji. Manche Fragen wurden gestellt, andere nicht. Habt ihr von Salt Lake gehört, von Tulsa, von St. Louis? Weiß man schon, was es ist? Hat man eine Lösung gefunden? Nur in der Bewegung lag Sicherheit, jeder Stopp erschien bedrohlich. Eine Zeitlang sangen sie. The Ants Came Marching, On Top of Spaghetti, A Hundred Bottles of Beer on the Wall.
Die Landschaft hob und senkte sich und umschloss sie mit einer grünen Umarmung: Pennsylvania, die Endless Mountains. Spuren von menschlichen Ansiedlungen waren rar und weit verstreut, Überreste einer längst vergangenen Ära. Die verschlissenen Zechenstädte, die vergessenen Dörfer, deren einzige Fabrik schon vor Jahren stillgelegt und verrammelt worden war; aus roten Ziegeln gemauerte Schlote, die verloren in den blauen Sommerhimmel stachen. Die Luft roch stark nach Kiefernnadeln. Inzwischen waren sie mehr als siebzig Personen. Die Leute drängten sich im Gang, hielten Kinder auf dem Schoß, pressten die Gesichter an die Scheiben. Treibstoff war ein ständiger Grund zur Besorgnis, doch irgendwie gelang es ihnen immer, im letzten Moment noch welchen zu finden, als schütze eine unsichtbare Hand den Bus auf seiner Reise.
Am
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