Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

sie tun, für seine Frau, die ihn liebte?
    So kam es, dass Curtis Vorhees, zweiunddreißig, Vormann des North Agricultural Complex, an einem schwülen Julimorgen, als das Thermometer die achtundzwanzig Grad bereits überschritten hatte und auf fünfunddreißig losmarschierte, sich mit dem alten .38er seines Vaters im Hosenbund und drei Patronen in der Trommel (die anderen drei hatte sein Vater verschossen) in einem Bus voll mit ganzen Familien wiederfand– und haufenweise Kindern. Da waren erst einmal Nitia und Siri und ihr Cousin Carson, der gerade zwölf geworden, aber immer noch so schmächtig war, dass seine Füße eine Handbreit über dem Boden baumelten. Dann Bab und Dunk Withers, die Zwillinge. Die Francis-Mädchen, Rena und Jules, saßen hinten, wo sie sich nicht um die Jungs kümmern mussten. Die kleine Jenny Apgar saß bei ihrem älteren Bruder Gunnar auf dem Schoß. Dean und Amelia White, schon etwas älter als der Rest, taten gelangweilt und genervt. Dann waren da noch Merry Dodd und ihr kleiner Bruder Satch sowie, in einem Korb, der kleine Louis Cauley. Und schließlich Reese Cuomo und Dash Martínez und Cindy-Sue Bodine. Siebzehn insgesamt, eine geballte Ladung kindlicher Wärme und Geräusche, die für Vorhees’ Wahrnehmung so differenziert waren wie das Summen eines Bienenschwarms. Es war üblich, dass die Frauen ihre Männer zum Pflanzen begleiteten und natürlich auch bei der Ernte, wo es für jedes Paar Hände Arbeit gab, aber das hier war etwas Neues. Curtis Vorhees spürte es, als der Bus zum Tor hinausfuhr. Der alte Dieselmotor dröhnte und knatterte, und das müde Chassis schaukelte unter ihnen. Ein öder Job in der Hitze war plötzlich ein Ereignis geworden, und der Tag war erfüllt vom hoffnungsvollen Geist einer Tradition, die hier geboren wurde. Warum hatten sie nie daran gedacht, dass es diesen Tag zu etwas Besonderem machen würde, wenn sie die Kinder mitnähmen?
    So fuhren sie vorbei am Damm und am Treibstoffdepot und an den Posten am Zaun, die sie durchwinkten, und weiter hinunter ins Tal und ins goldene Licht eines Julimorgens. Die Frauen saßen hinten mit Körben und Proviant und tratschten und lachten miteinander. Nachdem eine der Mütter– natürlich war es Ali Dodd gewesen– den fruchtlosen Versuch unternommen hatte, die Kinder die texanische Hymne singen zu lassen, das einzige Lied, das sie alle kannten ( Texas, our Texas! All hail the mighty State! Texas, our Texas, so wonderful, so great! ), hatten diese sich zu verschiedenen Grüppchen geordnet; die größeren Mädchen tuschelten und kicherten und ignorierten die Jungen geflissentlich, und die Jungen taten geflissentlich so, als sei ihnen das egal. Die Kleinen hüpften auf den Bänken herum, flitzten im Gang auf und ab und verübten ihre diversen Überfälle, und die Männer saßen vorn und schwiegen, wachsam wie gewohnt. Sie kommunizierten nur durch gelegentlich gewechselte, sarkastische Blicke oder mit einem kurzen Hochziehen einer Augenbraue: Worauf haben wir uns da eingelassen? Sie waren Männer der Felder. Ihre Hände waren schwielig, ihr Haar war kurzgeschoren, sie hatten schwarze Halbmonde unter den Nägeln und trugen keine Bärte. Vorhees zog die alte Uhr seines Vaters aus der Tasche und warf einen Blick auf das Zifferblatt: 7Uhr05. Elf Stunden bis zur Sirene, zwölf bis zum letzten Transport, dreizehn, bis es dunkel wäre. Behalten Sie die Uhrzeit im Auge. Merken Sie sich den Standort der nächsten Hardbox. Suchen Sie im Zweifel sofort Zuflucht. Worte, die sich in sein Bewusstsein eingegraben hatten, so unauslöschlich wie ein Kindervers oder wie ein Gebet der Schwestern. Vorhees drehte sich auf seinem Sitz nach hinten und zog Dees Blick auf sich. Sie balancierte Siri auf dem Schoß; das kleine Mädchen drückte die Nase ans Fenster und schaute in die vorüberziehende Welt hinaus. Dee schenkte ihm ein müdes Lächeln, das aus Worten bestand: Danke. Siri fing an zu hüpfen und wippte entzückt mit den Knien. Das kleine Mädchen zeigte mit einem stumpfen Finger aus dem Fenster und quietschte vor Vergnügen. Danke für das alles.
    Und ehe sie sichs versahen, waren sie da. Durch die Frontscheibe des Busses kamen die Felder des North Agricultural Complex in Sicht, und ein riesiges Muster breitete sich vor ihnen aus wie die Vierecke eines bunten Flickenteppichs: Mais und Weizen, Baumwolle und Bohnen, Reis und Gerste und Hafer. Sechstausend Hektar, zusammengehalten von einem Netz aus staubigen Straßen und mit