Die zwoelf Gebote
„Ich
dachte, du bist fortgegangen."
„Ich bin zurückgekommen."
„Da hast du dir eine schlechte Zeit ausgesucht, Tony. Heute heiratet meine Tochter."
„Weiß ich", sagte Tony. „Nämlich, sie heiratet mich." Annas Vater lachte auf. „Du kleiner Verrückter. Du weißt doch ganz genau, daß ich sie niemals einen armen Schlucker heiraten lasse."
„Ich bin nicht mehr arm", sagte Tony. „Ich bin jetzt reich. Reicher als der Bankdirektor." Und er zeigte Annas Vater seinen Scheck.
Dem fielen fast die Augen heraus. „Was denn, da bist du ja Millionär? Das ist also wahr, was sie immer über Amerika erzählen! Wer dorthin geht, wird Millionär."
„Jeder nicht gerade", sagte Tony. „Und jetzt will ich Ihre Tochter sehen."
„Aber natürlich!" Annas Vater war auf einmal sehr höflich und freundlich zu Tony. „Ich lasse sie sofort holen!"
Als Anna Tony sah, flog sie in seine Arme. Sie hatte bereits ihr wunderschönes weißes Hochzeitskleid an.
„O Liebling! Papa hat mir gesagt, was geschehen ist. Ich bin so stolz auf dich!"
„Und jetzt heiraten wir", sagte Tony. „Komm."
Sie wurden zur Kirche gefahren, und der dortige Pfarrer traute sie. Er hatte keinen blassen Schimmer davon, daß diese Hochzeit nur zustandegekommen war, weil der Bräutigam den zweiten Teil des Ersten Gebots übertreten hatte.
Und Tony und Anna lebten glücklich bis an ihr seliges Ende.
11. KAPITEL
ELFTES GEBOT: DU SOLLST NICHT LÜGEN.
Er hieß David und war wahrscheinlich der ehrlichste Mensch auf der ganzen Welt. Als er noch sehr klein war, hatte sein Vater ihm die Geschichte von George Washington und dem Kirschbaum erzählt.
„George Washington war der erste Präsident der Vereinigten Staaten. Als George acht Jahre alt war, ging sein Vater hinaus in den Garten und mußte feststellen, daß sein Lieblingskirschbaum umgeschlagen worden war. >Habt ihr den Kirschbaum umgeschlagen?< fragte er seine Dienstboten. >Nein<, sagten diese. >Hast du den Kirschbaum umgehackt?< fragte er seine Frau. >Nein<, sagte sie. Und schließlich schickte er auch noch nach dem kleinen George. >Hast du den Kirschbaum niedergehackt?< >Ja, Vater. Ich kann nicht lügen.<„
Diese Geschichte beeindruckte David so sehr, daß auch er beschloß, niemals zu lügen, nie und nimmer.
Als er in die Schule kam, stellte er fest, daß alle anderen Kinder bei den Prüfungen spickten und mogelten. In einem Moment der Schwäche spickte auch David einmal bei seinem Banknachbarn. Er bekam die Note A dafür, das war die beste Note, die man bekommen konnte.
David ging aber dann zu seinem Lehrer und sagte: „Sir, ich kann nicht lügen. Ich habe bei der Prüfung gespickt." Der Lehrer gab David daraufhin eine Null und ließ ihn zur Strafe nachsitzen.
Als David mit der Schule fertig war, ging er zusammen mit
einigen Freunden zu einer Fabrik, um dort Arbeit zu suchen. „Habt ihr Erfahrung?" fragte der Fabrikleiter. „Selbstverständlich", sagte einer von den anderen. „Eine ganze Menge", sagte ein zweiter.
David wußte natürlich, daß sie alle beide logen.
Der Werkleiter wandte sich nun auch an ihn. „Und du, hast du
Erfahrungen?"
„Nein", sagte David.
Die anderen wurden eingestellt, David nicht.
Als David älter wurde, begann er bei einer Versicherung zu arbeiten. Eines Abends nahm er einige Büroklammern und etwas Schreibmaschinenpapier mit nach Hause.
Am nächsten Tag sagte er zu seinem Chef: „Sir, ich kann nicht lügen. Ich habe etwas Papier und Büroklammern gestohlen." Der Chef zog ihm, was es wert war, von seinem Lohn ab. Die anderen Angestellten nahmen ständig irgendwelche Sachen mit, aber meldeten es natürlich nicht. Sie hielten David für einen Narren.
„Warum nimmst du die Sachen nicht einfach und hältst den Mund?" fragten sie ihn.
Aber David schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht machen.
Ich will wie George Washington sein. Ich habe mir
vorgenommen, niemals zu lügen."
Das konnten sie alle nicht verstehen.
David hatte eine Freundin. Sie hieß Kathy, und er liebte sie
sehr.
„Ich möchte dich heiraten", sagte er.
Sie umarmte ihn und antwortete: „Auch ich möchte dich heiraten, Liebling."
David war darüber sehr glücklich. Er hatte eine schöne Stellung und ein Mädchen, das er liebte. Wie man sieht, dachte er, zahlt es sich eben doch aus, wenn man immer nur die
Wahrheit sagt.
Kathy hatte eine Freundin, Betty. Betty war schön und sexy und mochte David sehr gern. Doch David war nicht an ihr interessiert, weil er ja Kathy
Weitere Kostenlose Bücher