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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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herein, mein lieber Junge«, forderte ihn sein
Lehrmeister auf und hielt eine Kerze in die Höhe, um ihm den Weg zu
leuchten. Tröstend legte er den Arm um Hais bebende Schultern, während
sie zusammen ins Haus traten. Er dachte an jenen anderen unerwarteten
Besuch vor beinahe zwanzig Jahren.
    »Etwas quält deinen Vater. Was ist es?«
    »Ich bete zu Gott, daß ich mich irre, Meister, aber ich
fürchte, es ist eine Fasergeschwulst.«
    »Am linken Knie?« erkundigte sich Ibn Zuhr.
    »Ja, Meister. Woher wußtet Ihr das?«
    »Das ist jetzt nicht wichtig«, antwortete der Arzt knapp,
wollte die Wahrheit genauso ungern glauben wie Hai, vielleicht aus
besserem Grund …
    »Groß?«
    »Nicht größer als eine Murmel.«
    »Gut. Ich schaue morgen früh bei ihm vorbei und überprüfe
deine Diagnose. Wenn ich deiner Meinung bin, lassen wir die Geschwulst
sofort von Abu'l Kasim entfernen, damit sie sich nicht im Körper
ausbreiten und dort Schaden anrichten kann. Wenn wir sofort handeln,
haben wir gute Aussichten, ihn noch zu retten.«
    »Aber Meister, ich muß Euch etwas sagen. Er schlief, als ich
die Geschwulst ertastete. Er selbst weiß nichts davon. Wie und was sage
ich ihm?«
    Ibn Zuhr rieb sich mit der Hand die trüben Augen und die
eingesunkenen Wangen, ehe er sich zu sprechen entschloß.
    »Es wird nicht notwendig sein, daß du irgend etwas sagst.« Er
legte seinem jungen Studenten die blau geäderte Hand auf das Knie und
fuhr fort: »Dein Großvater Ya'kub ibn Yatom hatte ein ähnliches Leiden,
und dein Vater kam damals zu mir, genau wie du heute.«
    »Ihr wißt also, daß es eine bösartige Krebsgeschwulst ist, und
er weiß es auch.«
    »Höchstwahrscheinlich, mein Sohn. Aber wir haben sie früher
entdeckt als bei Ya'kub. Nur Mut, mein lieber Junge, nur Mut. Es
besteht noch Hoffnung.«
    »Werdet Ihr das auch meinem Vater sagen?«
    »Aber natürlich. Unsere sogenannte Gelehrsamkeit gibt uns
nicht das Recht, einem Menschen den größten Trost der Schöpfung zu
rauben. Hoffnung ist die einzige Hilfe, die wir ihm anbieten können.
All unsere auswendig gelernten Regeln und Prinzipien sind nur
allgemeine Schlußfolgerungen, die wir aus der Beobachtung vieler Fälle
gezogen haben. Vieler, aber nicht aller Fälle. Was für den einen
richtig ist, kann für den anderen falsch sein, was den einen heilt,
kann dem anderen sogar schaden. Deswegen, mein Sohn, ist die Hoffnung
immer gerechtfertigt, bis Gott sein letztes Urteil fällt, die einzige
Entscheidung, gegen die es keinen Einspruch gibt.«

27
    R alambo warf sich die ordentlich gefaltete
Lamba über die Schulter und bewegte sich mit langen, lockeren Schritten
mühelos zwischen den Warensäcken, den laut feilschenden Händlern und
den geplagten Lastträgern hindurch, bis er das venezianische Schiff
erreichte, das in Kürze in See stechen würde. Als er seinen Fuß auf die
Laufplanke setzte, sog er noch einmal tief die warme, duftende Luft
ein. Das Strahlen auf seinem Gesicht spiegelte unendliche Zufriedenheit
wider: mit sich selbst, seinem Geschick und der großen weiten Welt.
Endlich hatte er den Hafen von Alexandria erreicht und machte sich auf
den letzten Abschnitt der lang ersehnten Reise. Bald würde er im Westen
ankommen, von dem er die Leute seit seinenKindertagen
reden hörte, den aber die wenigen Besucher in der roten Lehmhütte
seines Vaters niemals selbst gesehen hatten. Er wußte nur, daß die
Bewohner dieser Welt äußerst begierig nach den Kräutern und Gewürzen,
den Juwelen und dem blassen und zerbrechlichen Seladonporzellan waren,
nach allem, was die orientalischen Händler in die nördlichen Häfen
seines Heimatlandes, der Großen Roten Insel Madagaskar, brachten. Dort
verkaufte man die kostbaren Waren an die arabischen Händler weiter, die
sie an der Ostküste Afrikas entlang in die geschäftigen ägyptischen
Häfen verschifften, wo sie wiederum von geschäftstüchtigen
venezianischen Händlern verladen wurden, die diese unschätzbaren
Herrlichkeiten an allen Küsten des Mittelmeeres verteilten.
    Bisher hatte Ralambo noch keine feste Vorstellung von seinem
letzten Reiseziel. Er wollte sich so lange bei den westlichen Händlern
erkundigen, die er in den Häfen antraf, bis er erfuhr, was er wissen
wollte. Er ging mit festen Schritten über die federnde Planke an Bord,
bemühte sich, die lose aneinandergeketteten weißen Sklaven zu
übersehen, die man gerade von Bord getrieben hatte und deren helle Haut
unter der erbarmungslosen ägyptischen Sonne scharlachrot

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