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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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Freude
bereiten, wenn sie erführen, daß wir stets nur über Bücher und
Manuskripte reden oder über das passive Erdulden des von Gott
bestimmten Schicksals im Gegensatz zum freien Willen des Menschen und
seiner Fähigkeit, sein Geschick selbst zu lenken. Wie satt ich das
alles habe«, seufzte er und wandte sich Sari zu, die ihm tief besorgt
in sein Zimmer gefolgt war. Ausgemergelt und aschfahl vor Erschöpfung,
legte er sich auf seinen Diwan. »Rufe Hai«, murmelte er, »laß ihn
kommen, damit er die Schmerzen in meinen Knochen lindert.«
    Hai begrüßte seinen Vater fröhlich, als er eintrat, aber seine
tiefblauen Augen umwölkten sich, als er bemerkte, wie ungewöhnlich blaß
Da'ud war. »Haben die Fälscher dich wieder geärgert?« scherzte er,
während er die Salbe, die er immer zur Hand hatte, auf das linke
angeschwollene Knie seines Vaters strich. Beim Auftragen spürte er
unter dem Zeigefinger einen Knoten, der keinem Druck wich. Da'ud ließ
mit keinem Stöhnen vernehmen, daß ihn die Berührung dieses Knotens
schmerzte. Hai warf dem Vater einen raschen Blick zu, stellte
erleichtert fest, daß der mit geschlossenen Augen dalag, während die
Salbe ihre tröstliche Wärme verbreitete. Noch einmal berührte er den
Knoten, ohne daß Da'ud es bemerkte, drückte dann fest auf das
umliegende Gewebe. Darauf reagierte sein Patient. Hais Gedanken rasten:
kein Schmerz, kein Verlust an Reaktionsvermögen, keine
Heilung – Megatechne , Band
3 (unzählige Male durch Beobachtung bestätigt) –, außer man
nahm einen chirurgischen Eingriff vor, und selbst dann … Aber
vielleicht hatte er unrecht, gebot er sich selbst Einhalt. Vielleicht
war es keine Fasergeschwulst, sondern einfach ein verhärteter Abszeß,
den man langsam mit aufweichenden Mitteln auflösen konnte –
mit Zugsalbe, Honig, getrockneten Feigen, Storax, Knochenmark und
Fetten – De Medicamentorum Facultatibus V – rasselte
er aus dem Gedächtnis herunter.
    Zum Glück war Da'ud in leichten Schlummer gefallen und
bemerkte die Verwirrung seines Sohnes nicht. Denn hier lag nicht
irgendein Patient hilflos und unwissend auf dem Krankenbett. Er war
auch nicht nur sein Vater, den er liebte, wie jeder Sohn seinen Vater
liebt. Er war selbst ein anerkannter Arzt, hatte bei denselben Lehrern
studiert. Wie behandelte man einen solchen Mann? Fragte man ihn nach
seiner Meinung, beriet man sich mit ihm? Erklärte man ihm, daß sein
Leben bald ein Ende haben würde, wenn sich die Diagnose bewahrheitete?
Oder zog man sie in Zweifel, wie offensichtlich sie auch erscheinen
mochte, und gab vor, eine Behandlung zu verschreiben, um ihm Hoffnung
zu schenken? Würde der Vater sich trotz all seines Wissens an eine
solch vage Hoffnung klammern, genau wie jeder andere Sterbliche? Oder
verpflichtete gerade seine Gelehrsamkeit den behandelnden Arzt zur
absoluten Offenheit? Gott, der in den Himmeln wohnt, führe mich durch
dieses Dilemma!
    »Ich habe noch etwas zu erledigen«, erklärte er seiner Mutter.
Die hatte das Zimmer ihres Gatten verlassen, während Hai ihn
behandelte, und saß draußen im Garten in der kühlen Frische der
Herbstluft, während sich die Dunkelheit herabsenkte.
    »Wie geht es ihm?« erkundigte sie sich besorgt.
    »Er ruht sich aus«, beruhigte Hai sie und verließ das Haus,
ehe sie seinen inneren Aufruhr bemerkte.
    Er vergaß Raum und Zeit und wanderte ziellos durch die
Straßen, ein Teil seiner Gedanken so kristallklar wie der andere Teil
verwirrt war, die Sinne benommen, der Körper angespannt vor ängstlicher
Erwartung. Unaufhaltsam brach die Nacht herein, der Vollmond stieg am
Himmel auf und tauchte die schlummernde Stadt in ein gespenstisches
Licht. Ein scharfer Wind erhob sich. Hai begann zu frösteln, ihm
klapperten die Zähne. Kälte? Furcht? Verzweiflung über die Nichtigkeit
seines erbärmlichen Wissens? Mit der Zeit führten ihn seine Schritte zu
dem einzigen Ort, an dem er noch Hilfe zu finden hoffte.
    Trotz der späten Stunde hämmerte er an die dicke Holztür. Die
Dienstboten hatten sich schon längst zurückgezogen, und es dauerte eine
Weile, bis er drinnen langsame, zögernde Schritte näher kommen hörte.
    »Wer ist denn da zu so unziemlicher Stunde?« ließ sich die
vertraute Stimme vernehmen, die noch ganz verschlafen klang.
    »Ich bin es, Hai ben Da'ud.«
    Ibn Zuhr machte sich an den Riegeln der Haustür zu schaffen,
während Hai unruhig von einem Fuß auf den anderen trat und die Arme um
sich schlang, um sich aufzuwärmen.
    »Komm

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