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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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zurückkam. Obwohl er kein
tief religiöser Mann war, hatte Ya'kub ibn Yatom doch immer darauf
bestanden, daß sein Sohn ihn in die Synagoge begleitete, die er selbst
der jüdischen Gemeinde von Córdoba zum Geschenk gemacht hatte. An
diesem Abend jedoch enthielt er sich in dem gleichen wortlosen
Einverständnis, das er seinem Sohn bereits gezeigt hatte, jeden
Kommentars über dessen Abwesenheit beim Gottesdienst.
    Während des Essens im Kreis der Familie war Da'ud ungewöhnlich
schweigsam. Seine sorglos plappernden Schwestern schenkten ihm nur
wenig Aufmerksamkeit, aber die Augen seiner Mutter umwölkten sich mit
Sorge, wenn ihr Blick auf ihn fiel. Gerade wollte sie ihren Sohn nach
dem Grund für seine Grübelei befragen, die ihr angesichts der Gunst des
Kalifen unerklärlich schien, als Ya'kub, der ihre Gedanken erraten
hatte, ihr Einhalt gebietend die Hand auf den Arm legte. Sola war eine
Frau von unendlicher Güte, die jedoch wenig Erfahrung mit der Welt
jenseits ihres Hauses hatte. Eine Herzensangelegenheit, dachte sie
liebevoll, nichts, das die Zeit und ein anderes junges Fräulein nicht
heilen könnten. Jetzt, da ihr Sohn eine derart ruhmvolle Zukunft vor
sich hatte, wäre jede angesehene jüdische Familie in Córdoba nur zu
gern bereit, ihm die Hand ihrer Tochter anzutragen. Wie stolz sie das
machte!
    Sobald das Mahl zu Ende war, zog sich Da'ud unter dem Vorwand
von Kopfschmerzen auf sein Zimmer zurück. Dort warf er sich auf seinen
Diwan und vergrub das Gesicht in den weichen Seidenkissen, die darauf
gebreitet lagen. Er ließ die Wörter, die er entziffert hatte, in
Gedanken hin und her kreisen und wirbeln, überlegte sich alle möglichen
Deutungen. Schließlich ging er von der Annahme aus, daß das
Bruchstück  -vor wohl das Ende des Wortes bevor sein müsse. Was das fehlende Wort vor Sprossen betraf, so konnten die wenigen Striche, die er hatte
entziffern können, möglicherweise Teil des Wortes neuen sein.
Also hatte er jetzt Früchte … bevor … neuen
Sprossen … Früchte, so überlegte er, fielen doch im
allgemeinen, bevor neue Sprossen wuchsen. Wieso brauchte man dann diese
gesonderte Erklärung? Es mußte etwas Ungewöhnliches am Verhalten des Vatermörders geben, das diese Erläuterung notwendig machte. Vatermörder … Könnte es möglich sein, daß hier die neuen Sprossen wuchsen,
ehe die Früchte gefallen waren, als wollten sie diese umbringen? Wenn
ja, dann würde der Text lauten: Die Früchte fallen nicht,
bevor nicht neue Sprossen wachsen. Gab es eine derart
seltsame Pflanze, oder war seine Hypothese nur ein verzweifelter
Versuch, die eigenen nebulösen Annahmen zu stützen?
    Er konnte seine Neugier nicht länger bezähmen, stand leise
auf, zündete eine Kerze an und suchte unter den Büchern, die ordentlich
auf seinem Tisch gestapelt lagen, das illustrierte Pflanzenbuch des Abu
Hanifah al-Dinawari, das sein Vater für ihn hatte kopieren lassen, als
er seine religiöse Volljährigkeit erlangt hatte. Obwohl er den Text
beinahe auswendig wußte, da er ihn in seiner Jugend gelesen und
gründlich studiert hatte, und obwohl seine Finger schon viele Male über
die sorgfältigen Zeichnungen gefahren waren, um sie dem Gedächtnis
anzuvertrauen, wollte er das Buch noch einmal durchgehen, um einen
Hinweis zu finden, eine Einzelheit, die ihm entfallen war, irgend
etwas, das ihn zur Identität des Vatermörders hinführen
könnte. Aber bis zum Morgengrauen hatte er noch nichts entdeckt.
Erschöpft sackte er schlafend über dem aufgeschlagenen Manuskript
zusammen. Als sein Vater am nächsten Morgen ins Zimmer trat, um ihn zu
wecken, damit er rechtzeitig zum Morgengottesdienst kam, warf er nur
einen Blick auf die reglose Gestalt, die auf dem Tisch zusammengesunken
lag, und zog sich, Furcht im Herzen, leise wieder zurück.
    Es war schon einige Zeit nach Mittag, als Da'ud aufwachte,
gerade eben noch rechtzeitig zum Mittagsmahl des Sabbats. Unter den
mitleidigen Blicken seiner Mutter nahm er schweigend seinen Platz an
dem niedrigen, mit Leder überzogenen Tisch ein. Gedankenverloren zupfte
er eine Traube von der saftigen Rebe, auf der noch die Frische des
Morgens lag, aß ein, zwei Happen Fisch und knabberte lustlos an einem
Hühnerflügel, den seine Mutter eigens selbst für ihn gewürzt hatte, um
sicher zu sein, daß er nach seinem Geschmack wäre. Seine Leibspeise,
die Schmalzkringel, die in Öl ausgebacken waren und von wildem Honig
trieften, rührte er nicht einmal an, der Anblick des schimmernden

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