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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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hinaufführte.
    Jetzt mußte Gott mit ihm sein …

4
    D en Staub und die drückende Hitze nicht
achtend, spornte Da'ud sein Reittier mit beinahe brutaler Gewalt an.
Jede Sekunde im Leben eines so alten und einsamen Mannes war
kostbar – wenn er überhaupt noch am Leben war. Während das
Maultier rasch über den schmalen Pfad trottete, der sich durch
Olivenhaine und in Terrassen angelegte Weinberge schlängelte, suchte
Da'ud unruhig die weiter oben liegenden Hänge nach der Klause des
Einsiedlers ab. Schließlich konnte er einen dunklen Flecken dichter
Büsche ausmachen, der sich scharf vom spärlichen Bewuchs der Umgebung
abhob. Er stieß dem Maultier die Hacken in die zotteligen Flanken,
verließ den Pfad und trieb das Tier geradewegs den Hang hinauf auf das
Gebüsch zu. Beim Näherkommen erkannte er eine baufällige Hütte, die zum
Teil hinter einem Schutzwall aus seltsamen, bedrohlich wirkenden
Pflanzen verborgen lag, die eng miteinander verflochten waren und die
fleischigen, speerförmigen, stacheligen Blätter wie drohende
Krummschwerter aufgerichtet hatten. Er bewegte sich vorsichtig um sie
herum, stieg ab und schritt auf die Tür der kläglichen Hütte zu. Sie
stand offen und schwang an den Scharnieren wie das zerfetzte Segel
eines Schiffes nach einem Sturm.
    Einen Augenblick lang stand Da'ud reglos auf der Schwelle der
Hütte, ließ die Augen über den trostlosen Anblick schweifen, der sich
ihm bot – grobe Tongerätschaften standen beschmutzt überall
auf dem Boden, umgeben von Fetzen alter Kleider. Heruntergebrannte
Kerzenstummel lagen neben erdverkrusteten Sandalen, deren Sohlen
schief- und durchgelaufen waren. Dichte Spinnweben spannten sich
ungestört zwischen den wurmstichigen Holzbrettern der Hütte, und über
allem lag eine Schicht ockerfarbenen Staubs. Nur eines schien
sorgfältig gepflegt: eine Reihe von Töpfen, die ordentlich
nebeneinander auf einem Brett unter dem Loch standen, das als Fenster
diente. Zarte junge Sprossen wuchsen darin. Leben!
    Mit klopfendem Herzen ging Da'ud rasch hinein. Als sich seine
Augen an das Dunkel im Inneren gewöhnt hatten, erblickte er ein
schmuddeliges Laken, das über eine Gestalt gebreitet lag, die so winzig
war, daß man sie kaum noch ausmachen konnte. Er schlug das Laken zurück
und sah den alten Einsiedler reglos auf einer dünnen Binsenmatte am
Boden liegen. Ausgemergelt, starr, das Gesicht über dem wilden weißen
Bart grau und eingefallen, schien er Da'uds Anwesenheit gar nicht zu
bemerken. Nur die leise Bewegung seiner Brust bei den schwachen
Atemzügen verriet, daß noch nicht alles Leben aus ihm gewichen war.
    Mit geschickten, geübten Bewegungen sammelte Da'ud draußen ein
paar dürre Zweige, entfachte ein Feuer, zog im Brunnen hinter der Hütte
Wasser hoch und brachte es in einem Topf zum Kochen, den er in dem
Durcheinander am Boden gefunden hatte. Nachdem das Wasser ein paar
Minuten gesprudelt hatte, nahm er den Topf vom Feuer und deckte ihn zu.
Während er wartete, daß das Wasser wieder abkühlte, ging er neben dem
sterbenden Mann in die Hocke. Sanft tastete er nach dem schwachen Puls,
wusch dem Alten das Gesicht und rollte einige alte Kleidungsstücke zu
einem Kopfkissen zusammen. Dann goß er ein wenig Wasser in einen
Becher, stützte den Kopf des Einsiedlers mit dem Unterarm und führte
ihm den Becher an die ausgetrockneten, blau angelaufenen Lippen.
Zunächst nippte der Alte nur, dann trank er die lauwarme Flüssigkeit in
gierigen Schlucken, bis der Becher leer war. Da'ud legte seinen Kopf
wieder auf dem improvisierten Kissen ab, kniete sich neben den alten
Mann, ließ die Augen nicht von ihm, versuchte ihm seinen Willen
aufzuzwingen, betete, flehte ihn an, er möge das Bewußtsein
wiedererlangen … Er versuchte ihm seinen Willen aufzuzwingen,
weil es sein höchster Ehrgeiz als Arzt war, den Tod zu besiegen. Er
flehte ihn an, weil dieser Mann, wenn das Leben aus ihm wich, kostbares
Wissen mit ins Grab nehmen würde und weil damit auch sein Leben auf dem
Spiel stand. Er betete, weil er sonst nichts tun konnte. Die Minuten
verrannen, angespannt und qualvoll, bis schließlich der Einsiedler die
Augen aufschlug.
    »Wer bist du? Was machst du hier?« murmelte er.
    »Ich bin Da'ud, ein Arzt aus Córdoba«, beruhigte ihn Da'ud,
während er ihm den Becher wieder an die Lippen hielt. »Ich bin
gekommen, mich um Euch zu kümmern«, fügte er hinzu, und seine Stimme
war in seiner unaussprechlichen Erleichterung ganz hell und leicht
geworden.
    Aber

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