Die Zypressen von Cordoba
wieviel fester sie geworden
waren und wie sie sich aufzurollen begannen. Und doch spürte sie in ihm
eine seltsame neue Rastlosigkeit, die seinem sanften und ruhigen
Naturell bisher fremd gewesen war. Es war, als triebe er ziellos auf
dem Meer, als habe er den Anker verloren, der sein Vater für ihn
gewesen war, und müßte seinen eigenen festen Platz in einem sicheren
Hafen erst noch wiederfinden.
Eines Freitagvormittags, nachdem er seine
Pflichten für die Gemeinde erledigt hatte, trat Hai aus dem
Männerflügel des Hauses und wollte gerade durch den Garten gehen, um
bei seiner Mutter vorbeizuschauen, als Dalitha halb gehend, halb
rennend den Flur entlang kam und in den Sonnenschein trat, die Arme
gebeugt unter einem schweren Korb voller Feigen und Trauben.
»Wie freundlich von dir, an uns zu denken«, sagte er, als er
ihr die Last abnahm und eine reife Feige auswählte, die er mit ihr
teilte.
Sie lächelte ein wenig wehmütig, als sie die Hälfte nahm, die
er ihr reichte. »Weißt du noch, wie du mir beigebracht hast, daß ich
keine Angst haben sollte, Feigen zu essen?«
»Natürlich.«
»Du bist so lange nicht mehr bei uns im Haus draußen zu Gast
gewesen. Wir dachten, du hättest uns vielleicht vergessen.«
»Das wiederum ist kein freundlicher Gedanke. Mutter ist jetzt
sehr einsam, und mir sind so viele Pflichten zugefallen, daß ich kaum
einen Augenblick für mich habe«, erwiderte Hai entschuldigend und mit
ein wenig schlechtem Gewissen.
Betrübt und niedergeschlagen antwortete Dalitha: »Dann will
ich dich nicht länger aufhalten. Ich muß jetzt gehen, wenn ich noch vor
dem Sabbat zu Hause sein will«, fügte sie hinzu, und ihre tiefe Stimme
war vor Verlegenheit ganz heiser.
»Du gehst nirgendwo hin!«
Hai packte sie fest am Handgelenk und zog sie spielerisch
näher zu sich heran. »Ich schicke jemanden zu deinen Eltern, um ihnen
mitzuteilen, daß du den Sabbat bei uns verbringst. Ah, wie schön es
ist, dich wieder einmal zu sehen«, rief er aus und hielt seinen sanften
Blick auf sie gerichtet, als sähe er sie zum ersten Mal. »Du hast dich
verändert«, murmelte er, schob ihr glänzendes schwarzes Haar zurück, um
die breite, wache Stirn freizulegen, ließ einen zarten Finger über die
neue Fülle ihrer Wangen gleiten, trat dann einen Schritt zurück, um die
Schönheit ihrer erwachsenen Gestalt zu bewundern – die festen
jungen Brüste, deren Rundungen das Gewand zart formten, die schmale,
biegsame Taille und den eleganten Schwung von Hüfte und Schenkeln.
Zärtlich strich er ihr eine störrische Haarsträhne, die ihr in die
riesengroßen dunklen Augen gefallen war, hinters Ohr und streichelte
ihr dann mit dem Finger liebkosend über die Wange.
»Komm.« Er legte ihr den Arm um die Taille und spazierte
gemächlich mit ihr am Wasserlauf entlang. »Wie geht es allen draußen im
Haus?«
Während sie ihm vom Erfolg von Menahems Lexikon jenseits der
spanischen Grenzen erzählte, von dem jungen Mann aus Sevilla, der aus
unerfindlichen Gründen immer wieder bei ihnen vorbeischaute, von den
Lavendel- und Senfpflanzen, die er seit dem Tod seines Vaters nicht
mehr geerntet hatte, hörte er kein Wort, das sie ihm sagte. Er war wie
gebannt von der Bewegung ihrer Lippen, die feiner waren als die ihrer
Mutter, von der tiefen Nachdenklichkeit ihrer schwarzbraunen Augen. All
das entfachte in ihm den Wunsch, sie in die Arme zu schließen und für
immer und ewig eng an sich zu schmiegen. Nicht das Kind, mit dem er
gespielt hatte, sondern die Frau, die sie geworden war, so frisch, so
lebendig, so begehrenswert. »Und du?« fragte sie ihn jetzt mit heiserer
Stimme. »Hast du schwer an deiner Trauer zu tragen?«
»Es ist ein Verlust, den nichts zu ersetzen vermag. Neben
meinem persönlichen Verlust stehe ich immer wieder vor der Lücke, die
der Tod eines Mannes von der Größe meines Vaters im öffentlichen Leben
reißt. Er fehlt an allen Enden, hat seine Zeichen in so vielen
Bereichen des menschlichen Strebens gesetzt.«
»Möchtest du die Leere füllen, die er hinterlassen hat?«
»Ganz sicher nicht! Ich habe weder seine subtile Schläue noch
seinen Zynismus geerbt, Eigenschaften, die in den Kreisen, in denen er
sich bewegt hat, unverzichtbar sind. Ich bin unfähig, Menschen und
Situationen nach meinem Willen zu formen. Wichtiger noch, ich bin
unfähig, unschuldige Menschen im Interesse irgendeiner größeren Sache
zu opfern. Ich habe vor, mein Leben der Medizin zu widmen, in der
bescheidenen Hoffnung, die
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