Die Zypressen von Cordoba
Blüten welken und neue knospen.« Der
alte Mann schloß die Augen und verstummte einen Augenblick, nahm seine
geringe Kraft zusammen, ehe er fortfuhr. »Der Baum gedeiht in
Griechenland und Italien, daher wußten die Alten von ihm. Sein
lateinischer Name ist arbustus unedo , und im Romanischen nennen wir ihn madrona .«
»Der Erdbeerbaum!« rief Da'ud aus. »Aber natürlich! Und er
gedeiht hier ganz üppig. Ihr habt keine Vorstellung, wie lebenswichtig
dieses Wissen für mich ist.«
»So lebenswichtig wie deine Anwesenheit hier für mich, ein
Trost in meiner Sterbestunde«, flüsterte der alte Mann. »Aber ist das
alles, was du zu wissen trachtest?«
»Da ist noch eine andere Art, die unter dem seltsamen Namen handakuka bekannt ist und die ich auch zu bestimmen begierig bin.«
»Die kenne ich nicht, aber wenn du mir ihre Eigenschaften
beschreibst, dann kann ich sie vielleicht benennen.«
»Leider weiß ich außer dem Namen nichts über sie«, antwortete
Da'ud und flößte seinem Patienten noch ein wenig Grütze ein. »Aber ich
werde meine Suche fortsetzen, und wenn ich einen Hinweis gefunden habe,
komme ich wieder und frage Euch. Doch aus reiner
naturwissenschaftlicher Neugier wüßte ich gern den Namen der
stacheligen Pflanzen, die ich vor Eurer Hütte gesehen habe?«
»Es ist eine Variante der Aloe, deren Auszug in Afrika als
Wundermittel gilt.«
»Hat sie einen besonderen Namen?«
»Ich habe ihn nie herausgefunden.«
»Welche Eigenschaften hat diese Art?« fragte Da'ud
wißbegierig, auf jedes Fetzchen Information versessen, das er bekommen
konnte.
»Mehr als ich im Augenblick die Kraft habe, dir zu erklären.«
»Dann ruht ein wenig. Ich reite nach Córdoba und hole Milch
und Schrot, das ich für euch in Essig kochen will. Es wird Euch gut
tun. Inzwischen trinkt noch von dem Wasser, das ich für Euch abgekocht
habe – hier, der Topf steht neben Euch –, und achtet
darauf, daß Ihr ihn stets bedeckt haltet. Wenn Ihr Hunger verspürt, es
ist noch ein wenig Grütze da, genug für Euch, bis ich wiederkomme.«
»Du schwörst, daß du mich bei deiner Rückkehr nicht zur Ader
lassen willst?«
»Ich schwöre.«
»Dann darfst du kommen. Es ist an der Zeit, daß ich das
Wissen, das ich mir in meinem Leben mit den grünen Dingen erworben
habe, mit jemandem teile.«
Da'ud war trunken vor Freude, als er den Hang hinunter ritt.
Er hatte nicht nur den Einsiedler dem Rachen des Todes entrissen, er
hatte sich auch selbst ein gutes Stück vom Abgrund entfernt, war auf
halbem Weg zur Erfüllung des Auftrags, den ihm der Kalif gegeben hatte.
Mehr noch, er würde unschätzbare Reichtümer an Wissen erfahren, die er
damit auch der ewigen Vergessenheit entriß. In wilder Hast kaufte er
die Lebensmittel, die er brauchte, tauschte sein Maultier gegen ein
feuriges Roß ein und galoppierte in halsbrecherischem Tempo zur Hütte
zurück.
Aber als er dort ankam, war der Einsiedler tot. Da'ud fand ihn
am Boden liegend, unter dem Brett, auf dem die Reihe neuer Sprossen
wuchs, neben ihm zerschmettert ein Wasserkrug. Was für eine Niederlage!
Er hob den beinahe gewichtslosen Körper auf, trug ihn nach draußen und
begrub ihn inmitten der Pflanzen, die der Einsiedler sein Leben lang
gehegt und gepflegt hatte. Anmaßung! Dieser Ruf des Alten hallte ihm
noch in den Ohren wider, als er das Grab mit Erde bedeckte. Anmaßung,
daß er versucht hatte, Gottes Willen zuwiderzuhandeln! Verdutzt stand
er dem Rätsel des Lebens gegenüber, niedergeschlagen, weil er es nicht
geschafft hatte, den Tod des Einsiedlers zu verhindern, bitter
enttäuscht, weil der Alte all sein Wissen nun mit ins Grab genommen
hatte. Da'ud ging in die Hütte zurück, nahm die zarten
Sprossen – das einzige Erbe des Einsiedlers – vom
Brett unter dem Fenster und trug sie mit sich zurück nach Córdoba.
5
K örperlich erschöpft und im Herzen ermattet
vom Sturm der Gefühle, den er in den letzten Stunden des Einsiedlers
durchlebt hatte, schlief Da'ud den ganzen restlichen Tag und die
folgende Nacht hindurch. Als er am nächsten Morgen erfrischt und in
vertrauter Umgebung erwachte, hatte er sein Gleichgewicht beinahe
wiedererlangt, vertrieb ihm das angeborene Selbstvertrauen die Zweifel,
die der Einsiedler in seinem Denken geweckt hatte, ob es etwa anmaßend
sei, gegen den Willen Gottes anzukämpfen. Jetzt war nicht die Zeit für
philosophische Betrachtungen. Er mußte all seine Energie auf die Suche
nach dem handakuka bündeln, alles andere hatte zu
warten.
Weitere Kostenlose Bücher