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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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Geschwulst war wohl von ihrer Brust in
den gesamten Körper gewuchert, hatte ihn der Fäulnis ausgeliefert und
dieses letzte, tödliche Fieber ausgelöst. Der Verfall, dem er hatte
Einhalt gebieten wollen, hatte den Sieg davongetragen. Und doch,
überlegte er, als er die reglosen, wächsernen Hände seiner Patientin
mit festem, ermutigendem Griff umfaßte, hatte er ihr nicht einige
wenige Monate Leben gewonnen, kostbare Augenblicke des Sonnenlichtes
und des Glücks? Sechs ganze Monate hindurch hatte der Extrakt ihr
anscheinend neues Leben geschenkt. Ein lächerlich kleiner Sieg in der
ewigen Schlacht gegen den Tod? Vielleicht, aber für die Herzogin und
ihre Lieben ein unschätzbar wertvolles Geschenk …
    Auf Verlangen der Sterbenden blieb Hai die ganze Nacht
hindurch allein bei ihr. Er benetzte ihr die trockenen, vom Fieber
aufgesprungenen Lippen, legte ihr kühlende Kompressen auf die Stirn. In
einem letzten Versuch, ihr Leiden zu lindern, bereitete er einen Trank
vor, von dem er hoffte, er werde sie beruhigen, aber als er ihn ihr an
die Lippen hielt, wies sie ihn zurück, war inzwischen nicht mehr in der
Lage, ihn zu trinken.
    Im Morgengrauen hörte ihr schwacher Pulsschlag ganz auf, und
sie tat ihren letzten Atemzug.
    In dem Augenblick, als Hai vor Schmerz
gebückt und von seiner Niederlage niedergeschmettert, aus Sabinas
Zimmer trat, stürzte sich der andere Arzt auf ihn.
    »Euer Aloe-Extrakt allein hat ihr diese tödliche Schwäche
beschert!« rief er mit der Aggressivität des Schwachen und Unwissenden.
»Es ist allgemein bekannt, daß er abführende Wirkung hat. Was für ein
Wahnsinn, derlei einer Patientin zu verabreichen, die schon an
ständigem Durchfall leidet!«
    »Leicht oder schwer?«
    »Immer schwerer.«
    »Wann habt Ihr die Verschlechterung bemerkt?«
    »Vor etwa drei Wochen.«
    »Vorher nicht?«
    Ertappt zögerte der Arzt. Sabinas Zofe antwortete schluchzend:
»Nein, vorher nicht.«
    »Also«, fuhr Hai wütend zu dem Mann herum, »habt Ihr nicht nur
verhindert, daß die Herzogin ihre Sendboten ausschickte, um weitere
Vorräte des Pulvers zu holen. Ihr habt auch dafür gesorgt, daß ich
nichts von der Verschlechterung ihres Zustandes erfuhr. Ich behaupte
nicht, daß ich sie unter diesen weitaus schwierigeren Umständen hätte
retten können. Ganz und gar nicht. Aber ich weise mit aller Macht die
Anschuldigung zurück, daß der Extrakt sie geschwächt hat. Ich glaube
vielmehr, daß sie die letzten wenigen Monate voller Vitalität zumindest
teilweise der lebensstärkenden Wirkung des Aloe-Extraktes zu verdanken
hatte. Die bösartige Krankheit hat sie so geschwächt, nicht der
Extrakt.«
    Hai hatte überlegt, in Bilbao zu bleiben und dieser edlen und
mutigen Dame bei der Beerdigung die letzte Ehre zu erweisen, aber er
sah keinen Grund, warum er durch seine Gegenwart am Grab die
Feindseligkeit des ortsansässigen Medicus weiter schüren sollte. Also
ging er leise und unbemerkt fort, und Tränen der Trauer verschleierten
ihm den Blick, als er sich auf den Heimweg machte.
    Als er sich Córdoba näherte, überfiel ihn
erneut eine ungute Vorahnung. Würde Prinzessin Subh den Verleumdungen
des baskischen Arztes Glauben schenken, wenn sie ihr zu Ohren kamen?
Und wenn ja, welche Strafe würde sie über ihn verhängen? Würde sie so
weit gehen, seine Verbannung aus Córdoba zu befehlen, ihn dazu zu
zwingen, seine Aloepflanzungen im Stich zu lassen, die er mit solcher
Leidenschaft gepflegt und zur Blüte gebracht hatte? Oder würde sie, da
sie mit eigenen Augen gesehen hatte, auf welche Weise der Extrakt den
Zustand ihrer kranken Tante gebessert hatte, die Anschuldigungen als
Rachegelüste eines neidischen Berufskollegen abtun?
    Hais ständige Zweifel an der Wirksamkeit des Extraktes, seine
tiefe Enttäuschung über die Unfähigkeit, konkrete, unwiderlegbare
Beweise für die Wirkung des Mittels zu erbringen, wurden noch verstärkt
durch die Ungewißheit, wie die Mutter des Kalifen sich verhalten würde.
Jeden Donnerstag musterte er die Schar der Patienten, die sich im Haus
in Córdoba versammelten, war sich nicht sicher, ob er sich wünschte,
daß sie darunter wäre oder nicht. Heimlichkeiten und Hinterlist waren
am Hof der Omaijaden so sehr an der Tagesordnung, daß er ständig auf
der Hut war, während eine Woche nach der anderen verstrich. Er wünschte
sich schon beinahe, die Prinzessin würde ihm endlich offen
gegenübertreten und ihn von der quälenden Ungewißheit erlösen. Nur
seiner Mutter, die

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