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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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plötzlich alt und gebrechlich geworden war,
vertraute er seine Sorge an, aber auch ihre weisen und tröstenden Worte
konnten seine Furcht kaum lindern.
    Sein Seelenfriede sollte ihm auf völlig unerwartete Weise und
unter wesentlich dramatischeren Umständen wiedergeschenkt werden, als
er es sich je hätte ausmalen können.

34
    D er Befehl, vor dem Kalifen zu erscheinen,
wurde ihm von einer gemeinsamen Abordnung von Würdenträgern des
Kalifenhofes und aus al-Mansurs Residenz in der Medina Azahira
überbracht. Flankiert von einer eindrucksvollen Schar berittener
Schwertkämpfer, erschien die Abordnung kurz nach Sonnenaufgang, als Hai
sich noch schlaftrunken räkelte. Das Aufschlagen der Pferdehufe, das
bedrohliche Klirren der Waffen näherte sich dem kleinen Haus in der
Stille des frühen Morgens und weckte in ihm erneut ungute Vorahnungen,
die er mit der Zeit beinahe schon gebannt hatte. Obwohl der Morgen mild
war, fröstelte ihn ein wenig, als er sein Gewand überstreifte und sich
auf die bevorstehende Auseinandersetzung vorbereitete.
    Die Wache, die draußen vor der Tür wartete, während die
Anführer der Abordnung in Hais schlichtes Heim eintraten, wirkte
bedrohlich. Die Abgeordneten waren in so dringender Mission erschienen,
daß sie die höflichen Gesprächsfloskeln auf ein Mindestmaß beschränkten
und sofort zum Grund ihres Besuchs kamen.
    »Unser erhabener Kalif, Hisham, der Herrscher der Gläubigen,
und sein getreuer Diener al-Mansur befehlen Euch, Eure medizinischen
Fertigkeiten in den ausschließlichen Dienst des Hofes zu stellen. In
Sevilla hat man einen Ausbruch der Pestilenz festgestellt, die
anscheinend aus den nordafrikanischen Gebieten eingeschleppt wurde. Es
könnten schon Überträger innerhalb unserer Mauern sein. Unser großer
und mächtiger Herrscher ist nicht mehr gewillt, Eure störrische
Weigerung hinzunehmen, ihm zu dienen. Als sein getreuer Untertan und
als der gelehrteste und berühmteste Arzt in ganz al-Andalus ist es Eure
heilige Pflicht, Euch am Hofe einzufinden.«
    An welchem Hof? fragte sich Hai angstvoll. Wie sollte er, ein
einzelner, schutzloser Jude in einem Königreich, in dem die Macht so
offensichtlich geteilt war, sich unbeschadet aus den Fangarmen dieses
zweiköpfigen Ungeheuers befreien? Sein Vater wäre vielleicht schlau
genug gewesen und hätte sich zwischen den beiden einen Weg suchen
können. Er selbst war es nicht.
    »Wo residiert unser ruhmreicher Herrscher im Augenblick?«
fragte er den in starrer Haltung dastehenden Sprecher der Abordnung.
    »In der Medina Azahara.«
    »Und sein Großkämmerer al-Mansur?«
    »Er ist auf dem Rückweg von einem triumphalen Feldzug gegen
die Grafschaft Barcelona. Wir haben Sendboten ausgeschickt und ihm
dringend angeraten, seine Rückkehr zu verschieben, bis die Gefahr
gebannt ist.«
    »Das Glück war den Großen und Mächtigen dieses Reiches hold«,
murmelte Hai feierlich. Seine Erleichterung war grenzenlos. Im
Augenblick waren beide Männer in Sicherheit, da sie sich fern von den
wimmelnden Menschenmassen der Stadt aufhielten, unter denen sich die
Ansteckung ausbreiten konnte wie ein Lauffeuer im trockenen Farn. Da
nur der Kalif sich in unmittelbarer Nähe Córdobas befand, war sein
Dilemma nicht so groß.
    »Ich reite unverzüglich zur Medina Azahara hinaus, um
sicherzustellen, daß alle uns möglichen Maßnahmen ergriffen werden, um
den Kalifen zu schützen und um zu verhindern, daß die Pestilenz in den
königlichen Palast vordringt. Danach werde ich sofort ähnliche
Maßnahmen auch in der Medina Azahira treffen. Es ist unbedingt
erforderlich, daß beide Palastbezirke von jeglichem Kontakt mit der
Stadt abgeschnitten sind.«
    »Das ist möglich«, erwiderte einer der Würdenträger nach
kurzer Überlegung. »In beiden Palästen sind für den Notfall stets
großzügige Vorräte an Lebensmitteln und Wasser eingelagert.«
    »Alles Wasser, in der Stadt und außerhalb, muß vor dem Trinken
abgekocht werden«, unterwies sie Hai. »Doch bitte entschuldigt mich
jetzt, meine Herren. Ich muß eiligst zum Palast des Kalifen. Wir haben
keinen Augenblick zu verlieren.«
    Die Würdenträger starrten einander an, waren über diese
unhöfliche Verabschiedung verblüfft, schrieben sie aber dem Ernst der
Lage zu, geruhten also, sie zu ignorieren, und wandten sich zum Gehen.
    Nicht der Ernst der Lage hatte Hai bewogen, sie so zu
brüskieren. Er mußte dringend seine Gedanken ordnen. Gegen die
Pestilenz hatte sich bisher noch kein Heilmittel als

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