Die Zypressen von Cordoba
bestimmten Fällen kann unter Umständen,
wenn die Geschwulst in einem frühen Stadium entfernt wurde, der
Extrakt, den die Prinzessin erwähnt hat, helfen, um ein weiteres
bösartiges Wachstum einzudämmen, doch wir wissen auch nicht, ob das
wirklich so ist und wie lange es so bleibt. Wir werden noch über viele
Jahre Versuche unternehmen und Beobachtungen machen müssen, um die
Wirksamkeit des Extraktes festzustellen und die Bedingungen zu
erforschen, unter denen man auf ein positives Ergebnis hoffen darf. Die
Medizin, verehrte Damen, ist keine exakte Wissenschaft. Das Phänomen,
mit dem wir es zu tun haben, ist so vielschichtig wie die menschliche
Natur. Was einer Person hilft, kann bei einer anderen wirkungslos, wenn
nicht gar schädlich sein. Ein Arzt muß ständig aus dem Schatz seiner
Erfahrungen schöpfen und mit Hilfe der Intuition entscheiden, welches
Heilmittel er in jedem einzelnen Fall verschreiben soll, und es dann
auf die Reaktion seines Patienten abstimmen. Daher kann sehr wohl der
Extrakt, den wir mit der großzügigen Hilfe des verstorbenen Gatten
Eurer Nichte, des edlen Kalifen al-Hakam II., aus Afrika geholt haben,
in einigen Fällen eine Heilung bewirken, in anderen jedoch vollkommen
versagen. Ich habe noch keine genügende Zahl von Patienten damit
behandelt, um Euch – oder sonst jemandem –
verläßliche Aussichten machen zu können.«
»Ich habe meine arme, leidende Tante nicht die lange Reise von
Bilbao hierher machen lassen, um einem wissenschaftlichen Vortrag zu
lauschen«, erwiderte die Mutter des Kalifen heftig. »Wir suchen
Heilung, keine Vorlesungen.«
»Zusammen mit Abu'l Kasim werde ich alles in meiner Macht
Stehende tun, um der Herzogin zu helfen. Aber ich möchte noch einmal
wiederholen und betonen, daß meine Macht begrenzt ist. Die Schmerzen,
über die sie klagt, machen diesen Fall komplizierter als die anderen,
die ich behandelt habe, und ich kann Euch keinen Erfolg versprechen.
Nachdem ich all das gesagt habe«, fuhr Hai ernst fort und wandte sich
nun direkt an die Herzogin, »seid Ihr trotzdem bereit, mich einen
Versuch wagen zu lassen?«
»Eure Aufrichtigkeit gefällt mir, junger Mann. Sie flößt mir
Vertrauen ein. Und da es keine andere Möglichkeit gibt, wäre ich eine
Närrin, wenn ich mich ihr verweigerte.«
»Ich danke Euch, Herzogin. Wir wollen unverzüglich beginnen.
Ihr nehmt zunächst eine sehr kleine Menge des Aloe-Extraktes. Wenn ihr
keine üblen Nebenwirkungen verspürt, werden wir die Dosis erhöhen, um
Euch soweit zu stärken, daß Ihr die Operation aushalten könnt, die
Abu'l Kasim durchführen wird, um den Knoten aus Eurer Brust zu
entfernen. Danach werden wir Euren Zustand wieder überprüfen und
entscheiden, wie die weitere Behandlung aussehen soll.«
Als die beiden Frauen sich zum Gehen anschickten, war Hai zu
sehr mit dem ernsten Gesundheitszustand der Herzogin beschäftigt, als
daß er darauf geachtet hätte, ob die Prinzessin nun besänftigt war oder
nicht.
Die Wirkung des Extraktes auf die Herzogin übertraf Hais
Erwartungen. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit kam sie wieder zu
Kräften, ihr Appetit kehrte zurück, und ihre Gesichtsfarbe war nicht
mehr ganz so aschgrau. Nur die Rückenschmerzen blieben. Dafür
verschrieb ihr Hai einen Trank, der genügend Opium enthielt, um die
Schmerzen zu lindern und ihr Schlaf zu schenken. Sie war, wie er schon
bald feststellte, eine Frau von grimmiger Entschlossenheit und einem
eisernen Willen. Immer wenn er sie besuchte, hielt sie sich unter
seinem musternden Blick stolz und aufrecht, versäumte es nicht, sich
erst freundlich nach ihm zu erkundigen, ehe sie von sich sprach. Sie
beklagte sich selten, und zu keiner Zeit gestattete sie es sich,
niedergeschlagen zu sein oder die Hoffnung zu verlieren. Sie war fest
entschlossen, alles Menschenmögliche zu tun, um ihre Gesundheit
wiederzuerlangen, unterzog sich ohne Zögern der Operation durch Abu'l
Kasim und überraschte sowohl den Chirurgen als auch Hai damit, wie
schnell sie sich von dem Eingriff erholte. Der ständige Schmerz in
Oberbauch und Rücken verging jedoch nicht.
Hai besuchte die Herzogin jeden Abend, betrat den alten Palast
in Córdoba diskret durch eine kleine Seitentür, die direkt in die
Apotheke führte. Seine Anwesenheit dort überraschte niemanden, denn er
kam, genau wie zu Zeiten des Kalifs al-Hakam, regelmäßig, um die
Vorräte an Großem Theriak zu überprüfen. Seine Patientin nahm den
Extrakt regelmäßig ein, und er verabreichte ihr
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