Die Zypressen von Cordoba
für das er geschaffen war, und
er mußte seinem Weg folgen, wo immer er ihn hinführte. Seltsam, dachte
er nun, und wandte sich wieder Natans Brief zu, seltsam, daß sein
Bruder Gedanken ausgedrückt hatte, die seit einiger Zeit Leonora und
bei seinen häufigen Besuchen auch ihr Vater angesprochen hatten. Wenn
er zu den oberflächlichen Schlußfolgerungen, die sie aus dem äußeren
Anschein seines Lebens gezogen hatten, noch seine eigenen intimen
Kenntnisse der militärischen und politischen Wirklichkeit seiner Zeit
hinzufügte, mußte er notgedrungen ihrer Meinung sein.
Solange Habbus in Granada regierte, war seine Stellung
gesichert, seine Treue unerschütterlich. Sobald der König aber
starb – und dieser Tag war nicht mehr fern –, würde
Chaos entstehen, denn alle Söhne und Neffen würden sich auf Leben und
Tod in den Kampf um seine Nachfolge stürzen. In jenen unruhigen
Gewässern müßte er dann aufs neue seinen Weg finden, und all das nur um
das Recht, wieder einem anderen Prinzen dienen zu dürfen. Heute stand
er auf dem Gipfel seiner Macht, einer Macht, die er tapfer erkämpft und
behauptet hatte. Wenn Habbus nicht mehr war, würden ihm an jeder
Wegbiegung Feinde auflauern und die nächste Gelegenheit abwarten, um
ihn zu Fall zu bringen. Welchen Thronanwärter er auch unterstützte,
jedes gegnerische Lager würde mit aller Macht versuchen, ihm zu
schaden. Vielleicht hatten Natan und Leonora und ihr Vater Joseph
recht, wenn sie ihn drängten, seine Talente im eigenen Interesse zu
nutzen, im Interesse seines eigenen Volkes und nicht im Dienste kleiner
Prinzen, für die er kaum mehr als ein nützliches Werkzeug war.
Jedesmal, wenn er aus den Schlachten und von den Gefechten
heimkehrte, von den Städten, die er belagert oder gegen Belagerer
verteidigt hatte, von den Hinterhalten, denen er mit knapper Not
entronnen war, dann sah er, wie Leonoras Gesicht von Angst zerfurcht
war. Wenn sie in der köstlichen Ruhe nach leidenschaftlicher
Vereinigung beieinanderlagen, flehte sie ihn an, seinen Ehrgeiz dem
zuzuwenden, was in ihren Augen die natürliche Schlußfolgerung war.
»Warum solltest du den Rest deiner Tage damit verbringen, für
immer andere Kriegsherren zu kämpfen und Ränke zu schmieden? Was du so
erfolgreich für sie errungen hast, könntest du doch auch für dich
selbst erringen. Wenn jeder jämmerliche Kriegsherr, Berber, ehemalige
Sklave oder Eunuch, von denen keiner auch nur einen Bruchteil deiner
Fähigkeiten besitzt, sich selbst als unabhängigen Herrscher einsetzen
kann, warum dann nicht du? Vater würde dir nur zu gern sein ganzes
Vermögen zur Verfügung stellen und damit ein Heer aus Söldnern
finanzieren, das einzige, was dir noch fehlt, um einen Teil des Landes
an dich zu reißen, das du so gut kennst. Und wenn du dein Königreich
gewonnen hast, dann werden die Juden aus allen Ecken von al-Andalus in
hellen Scharen herbeiströmen. Handel und Gewerbe werden blühen, die
Kultur wird gedeihen, und unser Hof wird in seinem Glanz dem von
Córdoba zu seinen besten Zeiten in nichts nachstehen.«
Es war eine verlockende Vision, und sie deckte sich mit den
ehrgeizigen Plänen seiner Jugend. Aber auf wen konnte er sich
verlassen, um sie in die Wirklichkeit umzusetzen, in dieser Zeit, in
der das Wort Treue jegliche Bedeutung verloren hatte und Eigeninteresse
das einzige Motiv für die Handlungen der Menschen war? Eigeninteresse,
grübelte er. Einem möglichen Verbündeten mehr bieten, als er, Amram, im
Gegenzug bekommen würde. Eines nach dem anderen ging er die
Fürstentümer durch, mit denen er irgendwann einmal Bündnisse
abgeschlossen hatte: Carmona, Almeria, Málaga. Von allen hatte sich
allein Málaga, dessen Herrscher aus dem Hause der Hammudiden nur dem
Namen nach Kalif war, als halbwegs verläßlicher Verbündeter erwiesen,
wenn auch eher aus Schwäche denn aus Treue. Ein Kalif ohne
Kalifat … ein Kalif, der ein Kalifat brauchte … ein
Kalifat im Austausch gegen …
Allmählich reifte in seinen Gedanken ein Plan heran und nahm
Stück für Stück konkrete Formen an.
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W ie alle Wesire des Reiches rief man Amram
allein an Habbus' Sterbebett, das nur von seinen getreuen
Eunuchengarden bewacht wurde. Das Herz zog sich ihm zusammen, als er
die ehemals kraftvolle Gestalt des unerschrockenen Berberkriegers
erblickte. Er war so in sich zusammengesunken, daß man seine Umrisse
kaum noch unter den Felldecken ausmachen konnte, die man in
vergeblichem Bemühen als Schutz gegen die Kälte
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