Die Zypressen von Cordoba
Krankheit wäre
keine Angelegenheit von politischer Bedeutung gewesen. Nun aber diente
sie dem Thronräuber Ordoño IV. als tödliche Waffe. Der Usurpator war
Mitglied des königlichen Hauses von Leon und Verbündeter des Fernan
Gonzales, des rebellischen Prinzen von Kastilien. Welches Argument
konnte überzeugender begründen, daß Sancho nicht geeignet war, die
Regierungsgeschäfte zu führen, als der Anblick dieses massiven
Fleischbrockens, wie er da am Boden lag und nichts von dem wahrnahm,
was rings um ihn herum geschah?
»Steht nicht so herum und haltet Maulaffen feil, ihr hirnlosen
Idioten!« brüllte Toda ihr Gefolge an. »Geht und vertretet euch in den
Wäldern die Beine, und Ihr, Verpflegungsmeister, bereitet eine Mahlzeit
vor. Sobald Sancho das Bewußtsein wiedererlangt, wollen wir uns alle
daran laben.«
Lustlos spazierten die Männer in die Wälder, redeten von allem
möglichen, nur nicht von Sanchos Krankheit, für den Fall, daß Toda sie
hören könnte. Als die Höflinge zurückkehrten, war Sancho schon wieder
er selbst, offenbar völlig unbeeinträchtigt von seiner Ohnmacht. Mit
der üblichen Gier stopfte er gesottene Tauben und Räucheraal,
Entenbrust, Rinderpasteten und geräucherten Schinken in so ungeheuren
Mengen in sich herein, daß sogar diejenigen ihn voller Erstaunen
betrachteten, die selbst mit einem herzhaften Appetit gesegnet waren.
Nachdem er alles mit mehreren Humpen Bier heruntergespült hatte, machte
sich Sancho mit unverminderter Gier über eine Reihe von Süßspeisen her,
die im christlichen Norden völlig unbekannt waren. Einer der Konditoren
des Kalifen, den man in der Schlacht von Simancas gefangengenommen und
in die Dienste von Sanchos Vater gepreßt hatte, hatte sie eigens für
ihn zubereitet. Sancho trauerte tief, weil man ihn hatte zurücklassen
müssen, bis seine liebende Großmutter den Mauren auslöste und zum
Gefolge Sanchos gesellte. Endlich gesättigt, ließ sich der thronlose
König nach hinten sacken, schloß die Augen und verfiel in einen tiefen
Schlaf. Einen Ausdruck überirdischer Seligkeit auf dem aufgedunsenen
Gesicht, wölbte er seinen faßförmigen Bauch so weit vor, daß die
Höflinge sich eines Kicherns kaum erwehren konnten.
»Ihr Barbaren, die ihr euch Adelige schimpft«, schnappte Toda.
»Was ich brauche, um die Ehre meiner Familie wiederherzustellen, sind
eure Schwerter, nicht euer Gelächter. Da steht ihr nun, ein Haufen
saft- und kraftloser Memmen, ein albernes Grinsen auf dem Gesicht,
während der schurkische Kastilianer Fernan Gonzalez sich mit dem
Thronräuber verbündet, um meinem Sohn sein ererbtes Recht auf den Thron
von Leon zu rauben. Ich weigere mich, diese Situation noch länger zu
ertragen.«
Nachdem sie die Ehre seiner Männer dergestalt besudelt hatte,
konnte Rodrigo de Estella, Anführer der kläglichen Streitkräfte des
winzigen Fürstentums Navarra, nicht mehr länger an sich halten.
»Bei allem Respekt, Eure Majestät, nicht ohne Grund hat man
Eurem Enkelsohn den Thron genommen. Seine überstürzte, um nicht zu
sagen willkürliche Entscheidung, die Zahlung des jährlichen Tributs
zurückzuhalten, die dem Kalifen nach den Bestimmungen des Vertrags
zusteht, den einst dessen Unterhändler Da'ud ibn Yatom ausgehandelt
hat, hat das ehemalige Königreich Eures Enkels der Gefahr erneuter
Angriffe durch die maurischen Horden ausgesetzt. Doch Leon ist nicht in
der Lage, derlei Angriffen standzuhalten, weil seine Kräfte aufgezehrt
werden durch die ständigen Streitereien mit seinem ungebärdigen
Vasallen, dem Fürstentum Kastilien.«
»Alles Geschwätz!« rief sie und wischte das Argument des
Befehlshabers mit einer wütenden Armbewegung beiseite. »Abd ar-Rahman
ist viel zu sehr mit den Fatimiden in Algerien beschäftigt, als daß er
sich um uns kümmern könnte.«
»Die Männer des Thronräubers wären da nicht Eurer Meinung. Sie
behaupten, der Kalif hielte stets eine Garnison Soldaten in Reserve,
die jederzeit bereit sind, Leon anzugreifen. Einige stellen sogar in
Frage, ob Sancho bei klarem Verstand war, als er den Kalifen so offen
provozierte. Und auch die Gemäßigteren zögern, das Schicksal von Leon
einem jungen Herrscher anzuvertrauen, dessen körperliche und geistige
Gesundheit …« Der Krieger mit dem wettergegerbten Gesicht
hielt einen Augenblick inne, ehe er unverblümt die für alle
offensichtliche Wahrheit aussprach: »… ihn außerstande setzt, die
Geschicke des Landes zu lenken.«
»Ja, nun«, murmelte Toda mißmutig,
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