Die Zypressen von Cordoba
war,
zu seinem Haus zu eilen. Vielleicht war er krank, brauchte Betreuung?
Aber sie unterdrückte diesen Wunsch, aus Angst, ihn zu kompromittieren.
Sie könnte vielleicht einen Diener zu ihm schicken, um sich nach seinem
Befinden zu erkundigen, aber da Da'ud nicht zu Hause war, würde auch
das ein Risiko sein, das sie nicht eingehen mochte. Wenn ihm etwas
Schreckliches widerfahren war, würden die Schwestern Ibn Isaac als
erste davon hören, von seiner Vermieterin, ihrer Tante. In hastiger
Eile kleidete sie sich an und mußte sich noch die Zeit vertreiben, bis
der Morgen weit genug für einen Besuch bei Sitbora vorangeschritten
war, bei der Schwester, die Tamara wohl am ehesten alarmieren würde,
wenn etwas Schlimmes geschehen war.
»Gut, daß du hier bist«, begrüßte Sitbora sie mit säuerlicher
Miene. »Da stecken wir in einem schönen Schlamassel. Der unglückselige
Sekretär deines Mannes, der sich für berufen hält, selbst den
gelehrtesten Männern die Leviten zu lesen, ist gestern abend verprügelt
worden. Heute morgen war Tante Tamara hier, sie ist wütend und ziemlich
erschüttert, obwohl sie ständig das Gegenteil beteuert. Wir haben
getan, was wir konnten, um sie zu beruhigen, und dann hat Samuel sie
nach Hause begleitet und nach einem Arzt geschickt, der Menahems Wunden
versorgen soll.«
»Was hat Menahem denn getan, um eine solche Behandlung zu
verdienen?« fragte Djamila unschuldig.
»Es ist während einer dieser hochgestochenen Zusammenkünfte
passiert, bei denen die Dichter in ihren mondbeschienenen Gärten sitzen
und sich bei einem, zwei Bechern Wein gegenseitig ihre neuesten
Gedichte vortragen und alle darum wetteifern, ihre Talente zur Schau zu
stellen. Menahem, so scheint es, hat alle gegen sich aufgebracht, weil
er ständig etwas daran auszusetzen hat, daß sie den Stil ihrer
arabischen Kollegen übernehmen. Aber sie laden ihn trotzdem immer
wieder ein, zum einen, weil er so gelehrt ist, und zum anderen, weil er
Da'uds Sekretär ist.
Nun, wie mir Samuel erzählt hat, als er schließlich zum
Frühstück nach Hause kam – wütend, wenn ich das noch erwähnen
darf –, hat Menahem Saul beschuldigt, ein Gedicht geschrieben
zu haben, das wie das Liebesgedieht eines Mannes für einen zarten
Jüngling klingt. Saul erwiderte, seine Anspielung auf die Antilope und
die Gazelle oder worum es immer in diesem Gedicht geht, sei nur eine
Metapher für den lebendigen Gott des Dichters. Daraufhin bezichtigte
ihn Menahem rundheraus der Lüge. Die Araber, deren homosexuelle
Gepflogenheiten ja allen bekannt seien, benützten derlei Bilder, wenn
sie von ihrem ›Geliebten‹ schrieben, soll er angeblich erklärt haben.
Und dann ging es los. Die Beleidigungen flogen hin und her, die
Mehrheit war auf Sauls Seite, und Menahem verließ unter Protest die
Zusammenkunft. Mitten in der Nacht drang dann eine Bande von üblen
Schlägern gewaltsam in Tamaras Haus ein, und sie verabreichten ihm die
schlimmste Tracht Prügel seines Lebens.
Was für ein Aufruhr! Als hätte die arme alte Witwe nicht schon
genug Probleme mit all den Schwindlern, die ihr das ganze Vermögen
abgeluchst haben. Jetzt beherbergt sie auch noch einen Unruhestifter
unter ihrem Dach! Höchste Zeit, daß dein Mann nach Hause kommt und
seinen Sekretär in die Schranken verweist. Samuel meint, wenn dieser
Streit so weitergeht, muß irgendwann die gesamte Gemeinde Partei
ergreifen, und dann streiten wir uns alle über etwas, das die meisten
von uns nicht einmal verstehen. Samuel jedenfalls ist nicht bereit,
eine Gemeinde zu finanzieren, die ihre Mitglieder nicht davon abhalten
kann, Zwietracht zu säen. Du, Djamila, die du immer wieder darauf
bestehst, daß auch Frauen ein Recht haben, ihre Meinung zu Dingen
außerhalb des Heims zu sagen, du hast die Pflicht, das deinem Mann
mitzuteilen.«
Was für eine jämmerliche Maskerade! schrie Djamilas Seele auf.
Sie hatte sich in dem Netz verfangen, das sie selbst geknüpft hatte,
und nun forderte man sie heraus, gegen jede Sitte zu handeln und ihren
Prinzipien zu folgen, um einen Mann, der sie liebte, bei einem anderen,
der sie verstoßen hatte, in Mißkredit zu bringen …
»Bis zu Da'uds Rückkehr ist die ganze Angelegenheit längst
vergessen«, sagte sie leichthin, gab vor, die Sache nicht allzu ernst
zu nehmen.
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Da'ud hält ja wohl große
Stücke auf Sauls Gelehrsamkeit. Es wird ihm gar nicht gefallen, wie
feindselig Menahem gegen ihn hetzt.«
»Aber er hält auch
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