Die Zypressen von Cordoba
große Stücke auf die Gelehrsamkeit seines
Sekretärs. Niemand, sagt er, kann einen hebräischen Satz so rein und
elegant formulieren wie er.«
»Nun, es hat keinen Sinn, daß wir uns aufregen«, erklärte
Sitbora mit einer heftigen Aufwallung ihres herrischen Busens. »Es ist
an den Männern, diese Dinge nach ihrem Ermessen zu regeln. Wo ist Amira
heute morgen?« fragte sie, um das Thema zu beenden.
»Sie und Hai verbringen Stunde um Stunde damit, dem Papagei
und dem Kanarienvogel das Sprechen beizubringen. Nichts kann sie da
weglocken. Es ist sehr lustig, den beiden zuzusehen.«
Die beiden Frauen sprachen noch über dies und das, bis Djamila
sich endlich verabschieden durfte. Unentschlossen wanderte sie durch
die Straßen. Schlichte menschliche Freundlichkeit verlangte von ihr,
daß sie bei Menahem vorbeischaute, die Furcht vor den Folgen einer so
unbedachten Handlung hielt sie zurück. Sie durfte ihm nicht einmal ein
mitleidiges Schreiben zusenden, denn der Bote könnte sie verraten. Wenn
sie sich zu sehr für Menahems Wohlbefinden interessierte, würde sie nur
mißtrauische Blicke ernten. In Gedanken versunken, erreichte sie auf
ihrer ziellosen Wanderung den Marktplatz, kaufte Unmengen frisches
Käsegebäck und nahm die Köstlichkeiten als Überraschung für die Kinder
mit nach Hause.
Am folgenden Sabbatnachmittag besuchte sie ihren Vater wieder,
wollte unbedingt seine Fassung der Geschehnisse vom Mittwoch hören. Zu
ihrer Überraschung stimmte sie in allen Einzelheiten mit dem Bericht
überein, den ihr Sitbora gegeben hatte.
»Alle in der Synagoge waren sprachlos vor Staunen über diese
Geschichte. Alle sagten ihre Meinung dazu, wenn auch keiner genau
wußte, worum es eigentlich ging. Was für ein Durcheinander!« berichtete
Bahya und schüttelte den Kopf.
»Das ist doch absurd«, meinte Djamila, »ein solches Theater um
ein paar Gedichtzeilen.«
»Nein, mein Kind, die Sache liegt tiefer. Es geht um die
Grenzen zwischen harmonischer Anpassung an unsere Umgebung und Wahrung
unserer Identität.«
»Die Moslems werden uns nie als gleichberechtigt anerkennen.
Als Dhimmis hat uns Omar gebrandmarkt, und Dhimmis bleiben wir auch, Bürger zweiter Klasse im Haus des Islam.«
»Ich denke auch nicht, daß wir Gleichheit anstreben sollten.
Gerade unser Anderssein schützt uns ja, denn unsere Herrscher vertrauen
uns mehr als ihren eigenen Leuten, die alle potentielle Rivalen sind.
Aber trotzdem gewinnen wir nichts, wenn wir mit Verachtung auf ihre
kulturellen Errungenschaften herabsehen. Im Gegenteil, wir sollten von
ihnen lernen, sollten ihre eleganten literarischen Stilmittel zu
unseren eigenen Zwecken einsetzen, um unsere schöpferischen Leistungen
zu verbessern. Je höher das Niveau, das wir nach ihren Maßstäben
erreichen, desto größer der Respekt, den wir ihnen abverlangen, und
desto weniger sind wir der traditionellen Verachtung des Islams für die Dhimmis in seiner Mitte ausgesetzt.«
»Du meinst also, Menahem irrt sich mit seiner Kritik?«
»Nicht vollständig. Es ist heilsam, daß sich von Zeit zu Zeit
eine Stimme wie die seine erhebt, um Übertreibungen zu vermeiden, die
zum Verlust unserer ureigensten Werte führen könnten.«
»Ich frage mich, ob Da'ud das auch so sieht.«
»Dein Gatte ist ein kluger Mann. Bisher hat er zwischen den
beiden gegensätzlichen Strömungen das Gleichgewicht wahren können.
Sollte aber nun dieser Zwischenfall zu einer dauerhaften Spaltung der
Gemeinde führen, dann wird er sich wohl gezwungen sehen, eine Position
zu beziehen. Wann erwartet ihr seine Rückkehr?«
»Spätestens vor dem Herbstregen.«
»Das sind also noch einige Wochen. Wir wollen hoffen, daß die
Angelegenheit bis dahin in Vergessenheit geraten ist.«
Die Worte ihres Vaters hatten Djamila ein wenig beruhigt, und
sie schlief besser als in den beiden vorangegangenen Nächten. Am Morgen
stand sie erfrischt auf und beschloß, einen langen Spaziergang am
Flußufer entlang zu machen. Als sie gerade auf die Straße treten
wollte, hörte sie das Klappern eines Spazierstocks, der in
unregelmäßigen Abständen auf die unebenen Pflastersteine stieß. Sie
blinzelte in die Richtung, aus der das Geräusch zu kommen schien,
schaute noch einmal hin und war sich dann sicher, daß es Menahem war,
der unter Schmerzen am Stock auf sie zu gehumpelt kam. Sie rannte ihm
beinahe entgegen und ging dann langsam mit ihm zum Haus zurück.
»Ich wollte Euch nur eine weitere Tracht Prügel ersparen,
deswegen bin ich Euch nicht
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