Dieb meines Herzens
Formel mit, wenn sie der Meinung war, das Mittel wäre unwirksam?«
»Eine Zeit lang träumte sie davon, sie zu vervollkommnen und sich damit Sylvester als überlegen zu beweisen. Sie waren bis zum Ende hitzige Rivalen. Sybil aber gelangte schließlich zu dem Schluss, dass das Elixier zur Nutzung immer zu gefährlich wäre. Dennoch brachte sie es nicht über sich, die Kopie der Formel zu vernichten. Das deutete sie zumindest in ihren Briefen an.«
»Faszinierend.«
Leona breitete die Hände weit aus. »Also gut. Du weißt, wer ich bin. Ich nehme an, es spielt keine Rolle, wie du zu diesem Schluss gelangtest. Sybils Laborjournal ging sehr früh verloren. In meiner Familie weiß niemand, was damit oder mit der Truhe geschah, in der sie es samt ihren anderen Geheimnissen aufbewahrte. Ich besitze aber zwei der Notizbücher, die sie mehr oder weniger als Tagebücher benutzte, und einige ihrer Briefe. In diesen ließ sie sich in peinlicher Ausführlichkeit über ihre Gefühle zu Sylvester aus.«
»Was hatte sie sonst noch über ihn zu sagen?«, fragte er.
»Unter anderem nannte sie ihn einen arroganten Scharlatan und großen Lügner.«
»Warum Lügner?«
»Er warb um sie, indem er ihr versprach, sie würden Seite an Seite arbeiten, alle Geheimnisse teilen und ihre Kräfte gemeinsam weiterentwickeln. Sie verliebte sich in ihn und glaubte, auch er liebe sie. Als sie aber erkannte, dass er sie nur zu seinem Zuchtexperiment benutzen wollte, geriet sie außer sich. Nun war ihr klar, dass es nur eine einzige große Leidenschaft in Sylvesters Leben geben würde, nämlich seine Suche nach einer Formel. Also ging sie.«
»Und ließ den Aurora-Stein und eine Kopie der Formel mitgehen.«
»Sie besaß ein Anrecht auf beides«, sagte Leona mit Nachdruck.
Er lächelte.
»Was findest du daran so amüsant?«, wollte Leona wissen.
»Ich finde es sehr unterhaltsam, dass ich eine Nachfahrin der jungfräulichen, mit Zauberkräften ausgestatteten Zauberin zum ersten Frühlingsball der Arcane Society begleiten werde. Nichts liebt die Society oder meine Familie mehr als eine gute Legende.«
42
»Sie ist die direkte Nachfahrin Sybils?« Gabriel Jones lächelte breit. »Warte, bis Venetia davon hört.«
Der neue Großmeister der Arcane Society saß hinter seinem Schreibtisch in der Bibliothek, von Kopf bis Fuß der
typische moderne englische Gentleman. Kein Mensch ahnte, dass seine Fähigkeiten Gabriel zu einem der gefährlichsten Männer Londons machten, überlegte Thaddeus.
Wie viele von Jones’ Nachfahren war er ein Parajäger, ein Jäger mit übersinnlichen Fähigkeiten, mit Reflexen, Sinnen und Instinkten so scharf wie jene eines großen Raubtieres. Auch im Zustand der Ruhe und Entspannung waren die verräterischen Spuren latenter übersinnlicher Energie in seiner Aura für jene spürbar, die für diese Dinge empfänglich waren.
»Warten, bis ich was höre?«, fragte Venetia vom Eingang der Bibliothek her. Sie lächelte, als sie Thaddeus bemerkte. »Thaddeus, wie nett, Sie zu sehen. Ich wusste gar nicht, dass Sie da sind.«
»Guten Tag, Venetia.« Thaddeus erhob sich. »Sie sehen reizend aus wie immer. Kommen Sie eben von einer Porträtsitzung?«
»Ja, allerdings.«
Zusätzlich zu ihrer neuen Rolle als Gattin des Großmeisters der Society war Venetia eine für ihre Eleganz bekannte, sehr gesuchte Fotografin. Nur wenige ihrer reichen, elitären Kunden wussten freilich, dass ihre Talente über die Kunst, hinreißende Fotos zu machen, hinausgingen.
Mit ihrem Talent konnte Venetia Auren sehr klar ausmachen. Natürlich stimmte es, dass viele, auch jene, die über alle übersinnlichen Phänomene nur lachten, für Auren empfänglich waren. Die meisten schrieben das gelegentliche kribbelnde Unbehagen, die Faszination oder andere unerklärliche Reaktionen in Gegenwart gewisser Individuen ihrer eigenen Intuition zu.
In Wahrheit spürten sie ein zartes Flüstern der Aura der fraglichen Person. Die mit starken übersinnlichen Fähigkeiten Ausgestatteten waren natürlich empfänglicher für die
Energiespuren, die von anderen ausgingen. Aber nur wenige Menschen besaßen die seltene Gabe des zweiten Gesichtes, die nötig war, um das volle und einzigartige Spektrum der ganzen Aura eines anderen Individuums zu erfassen, wie Venetia es vermochte.
»Du wirst nie erraten, wen Thaddeus zum Frühlingsball begleiten wird«, sagte Gabriel. Er trat vor, um sie zu begrüßen. »Ein Kristallmedium, das eine direkte Nachfahrin Sybils, der
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