Dieb meines Herzens
von Unterrockvolants verschwand. Erinnerungen an das Zwischenspiel im Gewächshaus versengten seine Sinne. In seinem Inneren krampfte sich alles zusammen.
Er stieg hinter Leona ein, schloss die Tür und setzte sich
ihr gegenüber. Er sah zu, wie sie die kunstvollen Falten und Rüschen ihrer Röcke ordnete.
»Ich kann verstehen, warum es eine Dame gelegentlich bequem und praktisch findet, Männerkleidung zu tragen«, sagte er. »Aber vom Standpunkt des Mannes aus hat der Anblick einer Frau in einem Kleid viel für sich.«
Leona lächelte kühl. »Vom weiblichen Standpunkt aus kann ich dir versichern, dass es viel für sich hat, wenn man es sich aussuchen kann.«
Die Droschke rumpelte los. Thaddeus warf einen Blick zurück auf Pierces stattliches Stadthaus. »Nun habe ich aber den Eindruck gewonnen, dass die Frauen in Pierces Leben sich für Männerkleidung entschieden haben und auf die Möglichkeit verzichten, Kleider und Unterröcke zu tragen.«
»Dir ist also aufgefallen, dass alle Bedienten weiblich sind?«, fragte Leona erstaunt.
»Ja.«
»Wie hast du das bemerkt?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wenn man einmal das Offensichtliche in Frage stellt, fängt man an, unter die Oberfläche zu schauen.«
Leona folgte seinem Blick zur Vorderfront des Stadthauses. »Das Faszinierende ist, dass nur die wenigsten Menschen unter die Oberfläche blicken. Mr Pierce und Adam und ihre engen Freunde im Janus-Klub laufen meist als Männer herum, und keinem fällt es auf.«
»Es ist nicht die Tatsache, dass alle Frauen sich als Männer verkleiden, die mich fesselt«, sagte Thaddeus.
»Was dann?«
Lächelnd streckte er ein Bein aus und streifte wie zufällig ihre violetten Röcke.
»Es ist der Gedanke, wie all die Gentlemen, die sich momentan Brandy und Zigarren in ihren noblen Klubs an der St. James Street zu Gemüte führen, reagieren würden, wenn sie erfahren, dass einer der reichsten, geheimnisvollsten Verbrecherkönige eine Frau ist.«
32
Fieberhafte Erregung erfasste Delbridge, als er den stillen Raum betrat. Auf diesen Augenblick hatte er monatelang gewartet.
Der uralte steinerne Raum war fensterlos. Eine Kraft, so schwer und schicksalsträchtig wie der Nebel draußen, sammelte sich innerhalb der vier Wände.
Die Aura bedrohlicher Energie war kein Produkt seiner Fantasie. Seine eigenen Sinne waren weit offen und registrierten die starken paranormalen Ströme, die in dem Gemach wirbelnd ihre Kreise zogen. Sie gingen von den fünf Männern an dem großen hufeisenförmigen Tisch aus. Jeder von ihnen war mit einem hohen Grad an paranormalem Talent ausgestattet.
Die Identität der Männer kannte er noch nicht. Die fünf Mitglieder des Dritten Kreises der dunklen, ihm nur als Orden der Smaragdtafel bekannten Verschwörung trugen Kapuzengewänder, die mit geheimnisvollen alchemistischen Zeichen bestickt waren. Die Kapuzen waren hochgezogen, die Gesichter tief verschattet. Unter den Kapuzen trugen sie Halbmasken. Vier Masken waren aus Silber. Die fünfte, jene des Vorsitzenden, war aus Gold.
»Einen schönen Nachmittag, Mr Delbridge«, sagte der
Vorsitzende. Seine Augen glitzerten durch die Öffnungen der Maske. »Die Mitglieder des Dritten Kreises des Ordens der Smaragdtafel freuen sich auf Ihr Angebot.«
Delbridges Blut strömte schwer durch seine Adern. Beide wussten, dass der Kristall kein Angebot war, sondern die Aufnahmegebühr. Er hatte die Aufgabe erfüllt, die diese Männer ihm gestellt hatten, und war nun würdig, unter ihnen zu sitzen.
»Ich bringe Ihnen wie verlangt den Autora-Stein«, sagte Delbridge.
Er spürte die plötzliche Gier – es gab dafür kein anderes Wort –, die im Raum aufflammte. Von Anfang an hatte er gewusst, dass die fünf den Kristall unbedingt besitzen wollten, und mit etwas Glück hoffte er schließlich dahinterzukommen, welche Bedeutung der Stein für sie hatte.
»Sie können Ihre Gabe dem Dritten Kreis präsentieren«, setzte der Vorsitzende salbungsvoll an.
Mit einer schwungvollen Geste zog Delbridge den Samtbeutel aus der Manteltasche. Unter den Mitgliedern erhob sich erregtes Raunen.
Den Moment auskostend trat er in die Rundung des Tisches und legte den Beutel vor den Führer.
»Mit meinen besten Empfehlungen«, sagte er.
Die Goldmaske schimmerte, als der Vorsitzende nach dem Beutel fasste. Delbridge und die anderen sahen zu, wie er die Schnur löste und den Stein herausnahm. Er legte den Kristall auf den Tisch. Da lag er nun, glanzlos und unscheinbar im
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