Dieb meines Herzens
deutliche, von einer dunklen, glasigen Substanz umgebene Vertiefung.
Der Vorsitzende sah Delbridge an. »Ihre Miene verrät, dass Sie eine gewisse Vorstellung vom Wert dieser alten Truhe haben.«
»Gehörte sie Sylvester Jones?«, fragte Delbridge unwillentlich voller Ehrfurcht. »Vor einiger Zeit gab es Gerüchte über einen Einbruch in Arcane House.«
»Das hier wurde nicht aus Arcane House gestohlen«, antwortete der Vorsitzende.
Delbridges Gefühl intensiver Vorahnung wurde gedämpft. »Ich verstehe.«
Der Führer bedachte ihn mit einem geheimnisvollen Lächeln. »Sie gehörte nicht dem Gründer«, sagte er leise. »Sie war vielmehr Eigentum eines Menschen, der seine größten Geheimnisse kannte. Wir glauben nun, dass diese Geheimnisse in der Truhe eingeschlossen sind.«
Delbridge runzelte die Stirn. »Sie gehörte einem von Sylvesters Rivalen?«
»Seiner größten Rivalin, Sybil, der jungfräulichen Zauberin.«
Wie vom Donner gerührt starrte Delbridge die Truhe an. »Ich dachte, Sybil sei nur Gestalt einer der überlieferten Legenden der Arcane Society. Wollen Sie damit sagen, dass sie tatsächlich existierte?«
»Aber ja.« Der Vorsitzende zeigte auf das alte Buch in seiner Hand. »Sie existierte. Dies ist ein Band ihrer Aufzeichnungen. Ich suchte jahrelang danach, ehe ich es schließlich in der Bibliothek eines betagten Mitglieds der Society entdeckte. Nach seinem Ableben konnte ich es erwerben.«
Ein Ableben, das vermutlich nicht aus natürlichen Gründen erfolgte, dachte Delbridge.
»Natürlich sind die Aufzeichnungen im Privatcode der Zauberin verschlüsselt«, fuhr der Vorsitzende fort. »Ein ganzes Jahrzehnt meines Lebens widmete ich der Entzifferung und schaffte es. Der Inhalt führte mich zum Standort der Truhe.«
»Was befindet sich darin?«, fragte Delbridge, der kaum wagte, Hoffnung zu schöpfen. »Womöglich eine Kopie der Formel des Gründers?«
»Ja«, sagte eine der anderen Kapuzengestalten ungeduldig. »Laut Notizbuch stahl Sybil wirklich die Formel und verbarg sie in der Truhe.«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Delbridge und sah die maskierten Gesichter um sich herum fragend an. »Haben Sie denn nicht nachgesehen?«
»Leider war das bislang nicht möglich.« Der Vorsitzende umfasste das Tagebuch fester. »Die Truhe ist mit einem sehr ungewöhnlichen Sperrmechanismus gesichert. Die in die
Goldfolie eingeritzte Warnung besagt, dass jeder Versuch einer gewaltsamen Öffnung zur Vernichtung der darin befindlichen Geheimnisse führt.«
Delbridge furchte die Stirn. »Wie wollen Sie dann an den Inhalt kommen?«
Der Vorsitzende hob den Samtbeutel in die Höhe. »Sybils Warnung lässt klar erkennen, dass der Aurora-Stein der Schlüssel ist.«
Wieder durchschoss Delbridge Erregung. Endlich begriff er, was für ein enormes Geschenk er dem Dritten Kreis gemacht hatte. Kein Wunder, dass man ihm einen Platz am Tisch im Raum nebenan für den Stein versprochen hatte. Er hatte diesen Männern den Schlüssel für etwas geliefert, das für sie von allergrößtem Wert war, und den sie sich selbst nicht hatten verschaffen können. Er spürte, wie seine eigene Aura wuchs und stärker pulsierte. Kraft nährte Kraft.
Der Vorsitzende übergab das Buch einer der anderen verhüllten Gestalten. Dann hielt er den Aurora-Stein in die Höhe. Einen Moment starrten alle den stumpfen, farblosen Kristall an.
Mit großer Präzision senkte der Vorsitzende den Stein in die schwarze Glasvertiefung im Deckel der Truhe. Ein hörbares Klicken ertönte. Er passte genau, so als wäre er geschaffen, um in der Vertiefung zu ruhen.
Delbridge hielt den Atem an. Er spürte, dass es den anderen, auch dem Vorsitzenden, ebenso ging.
Nichts geschah.
Kurze, gespannte Stille. Auf Delbridges Stirn zeigten sich Schweißperlen.
»Es klappt nicht«, murmelte jemand.
Alle sahen Delbridge an. Nackte Furcht lähmte ihn. Nur mit größter Willensanstrengung riss er sich zusammen.
»Dies ist der Stein, den Sie von mir forderten«, sagte er mit gespieltem Gleichmut. »Ich kann seine Kraft spüren, selbst wenn Sie es nicht können. Es ist nicht meine Schuld, dass er die Truhe nicht öffnet.«
Der Vorsitzende umfasste den Aurora-Stein mit der ganzen Hand und konzentrierte sich einen Moment intensiv. »Ich glaube, Sie haben recht. Ich spürte die vom Stein ausgehende Kraft. Sie ist jetzt stärker, da er mit der Truhe in Kontakt ist, doch die Energie ist dunkel und ungezielt. Sieht aus, als wären die letzten warnenden Worte
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