Dieb meines Herzens
spärlichen Licht.
Eine kurze, Unsicherheit verratende Stille trat ein.
»Sieht nach nicht viel aus«, bemerkte einer der Anwesenden.
Ein ängstlicher Ruck ging durch Delbridges Nerven. Es
war der richtige Kristall. Musste es sein. Er hatte alles riskiert, vor allem aber seine gesellschaftliche Stellung, um ihnen den Stein zu verschaffen. Käme jemals heraus, dass er sich mit einem verrückten Wissenschaftler und einem kaltblütigen Killer zusammengetan hatte, um sich Eintritt in einen Geheimklub zu verschaffen, wäre er ruiniert. Dank seines Vermögens und seiner Verbindungen würde er dem Gefängnis vielleicht entgehen, der Skandal aber würde ihn bis ans Ende seiner Tage verfolgen.
Der Vorsitzende griff nach dem Stein und wog ihn auf der flachen Hand. Unter dem Rand seiner Maske schürzten sich seine Lippen befriedigt. »Ich spüre seine Kraft.«
»Viele Kristalle besitzen Kraft«, brummte eines der Ratsmitglieder. »Woher wissen wir, dass es der Stein ist, den wir brauchen?«
Der Vorsitzende erhob sich. »Indem wir ihn einer Prüfung unterziehen natürlich.«
Als er über den Steinboden schritt, klirrte Stahl leicht an Stahl, als trüge er unter den schweren Gewändern eine alte Rüstung. Ein Schauer sträubte Delbridges Nackenhaare. Er fragte sich, ob der Mann ein Schwert trug, eine Möglichkeit, die ihn schwer schlucken ließ. Seine Intuition sagte ihm, dass diese Gruppe ein Versagen schwer ahnden würde.
Aber umbringen konnte man ihn nicht, falls der Kristall nicht das bewirkte, was man von ihm erwartete. Das war eine kleine Beruhigung. Immerhin war er Lord Delbridge, verfügte über makellose familiäre Beziehungen und verkehrte in der besten Gesellschaft.
Allerdings hatte er selbst unlängst das Mitternachtsmonster auf zwei andere Gentlemen mit ausgezeichneten Verbindungen angesetzt und sie töten lassen. Wer konnte sagen, ob diese Männer nicht dasselbe zuwege brachten?
Beruhige dich. Du hast ihnen gebracht, was sie forderten. Den echten Aurora Stein. Du wirst bald zu ihnen gehören .
Der Vorsitzende blieb vor einer niedrigen Bogentür in der alten Steinmauer stehen, griff in seine langen Gewänder und förderte einen Schlüssel zutage. Damit war das Klirren erklärt, dachte Delbridge. Der Mann trug einen Bund mit vielen Schlüsseln unter seinem Gewand, und kein Schwert. Diese Erkenntnis erleichterte ihn erheblich.
»Ja, der Test«, zischte einer der Männer und sprang auf. »Wenn der Kristall die Eisentruhe öffnet, wissen wir sofort, ob Lord Delbridge uns den richtigen Stein brachte.«
Die anderen folgten rasch. Einen Moment lang glaubte Delbridge, man hätte ihn vergessen, doch der Vorsitzende drehte sich nach ihm um und nagelte ihn mit seinem kalten Blick fest.
»Kommen Sie mit, Sir. Sie werden die Ergebnisse Ihrer Bemühungen gemeinsam mit uns sehen.«
Keine Angst zeigen, ermahnte Delbridge sich.
»Wie Sie wünschen«, sagte er und versuchte seine Haltung zu wahren, die kühle Höflichkeit ausdrücken sollte.
Sie durchschritten hintereinander den schmalen Durchgang in ein anderes, kleineres Gemach. Der Vorsitzende zündete eine Lampe an. Delbridge blickte mit einer Mischung aus Neugierde und Furcht um sich. Auch dieser Raum schien aus uralter Zeit zu stammen. Auch er war fensterlos. Delbridge warf einen Blick auf die schwere, eisenbeschlagene Tür mit dem massiven Schloss, das vermuten ließ, dass der kleine Raum einst als Schatzkammer gedient hatte.
Eine große stählerne Geldtruhe stand auf einem dicken Teppich in der Mitte des Raumes. Sie sah sehr alt aus. Spätes siebzehntes Jahrhundert, entschied Delbridge, aus der Ära Sylvester Jones’, des Gründers der Arcane Society. Hatte der
Dritte Kreis es geschafft, sich ein mit Sylvester in Verbindung stehendes Artefakt zu verschaffen? Ein Funken der Erregung erglühte in ihm und milderte sein Unbehagen. Die Geheimnisse des Gründers lieferten reichlich Stoff für Mythen und Legenden innerhalb der Society.
Lampenlicht spiegelte sich flackernd in der Goldfolie, die den gewölbten Deckel der Truhe bedeckte. Worte und Symbole waren in das Gold eingeritzt. Delbridge erkannte einige der Symbole als alchemistisch und einige der Worte als eine Mischung aus Latein und Griechisch, konnte aber ihre Bedeutung nicht entziffern. Ein privater Code, dachte er. Die alten Alchemisten waren notorische Geheimniskrämer gewesen.
Die Truhe hatte kein Schloss und wies auch keine sichtbare Trennlinie zum Deckel auf. In der Mitte befand sich eine
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