Diebe
gleichen Maße, wie die Stadt dann, nicht nur in der frühmorgendlichen Dämmerung, heller wird, neuer auch, so neu, dass sie noch gar nicht überall fertig ist. Hier in den nördlichen Randbezirken sind die Straßen gesäumt von hohen weißen Mauern, hinter denen die Reichen in ihren blassen, klimatisierten Häusern leben. Schwere Tore führen auf Innenhöfe und in großzügig bewässerte grüne Gärten. Doch die Insassen des langsam vorbeifahrenden Wagens sehen nichts von dem, was die Mauern verbergen, während sie nach dem Haus der Doluccas in der Via de Peone Ausschau halten. Nirgends Hausnummern zu sehen, aber Domino weiß auch so, wo es hingeht. Baz versucht sich zu merken, wann und wo sie abgebogen sind – geh nie irgendwohin, wenn du nicht weißt, wo der Ausgang ist, wenn du den Weg zurück in Sicherheit nicht kennst. Keine Straßenbahn, die so weit im Norden verkehrt – höchstens Busse. Hat schon mal jemand von einem Dieb auf der Flucht gehört, der an der Haltestelle steht und auf den Bus wartet? Wenn die Polizei hinter dir her ist, suchst du dir besser was Schnelleres als den Vorortbus.
Sie halten am Straßenrand. »Das hier ist es«, murmelt Domino, indem er mit dem Kopf auf ein kleines, in die Außenmauer eingelassenes Gebäude zeigt. »Pförtnerhäuschen. Haupthaus ist dahinter. Müsst nichts weiter tun, als durchs Fenster zu steigen.«
Es gibt ein kleines Fenster im Hochparterre, das übrige Häuschen geht anscheinend auf den Garten hinaus.
Domino fährt wieder an. »Wir drehn noch eine Runde um den Block«, sagt er, »gucken, ob die Luft rein ist.«
Es ist nichts zu sehen, nur ein einsamer Hund, der eilig über den Gehsteig zockelt. Ein Stück weiter die Straße runter hat man das Pflaster aufgerissen, um Abflussrohre zu reparieren oder Kabel zu verlegen. Innerhalb der Absperrung herrscht ein ziemliches Durcheinander von Baumaterial und Werkzeug aller Art. Auf der linken Seite steht ein Haustor offen. Und in der Parallelstraße entdeckt Baz ein einzelnes erleuchtetes Fenster. Aber es sind keine Autos unterwegs, keine Polizeistreifen.
Domino wendet, kehrt zurück in ihre Straße und hält vor dem Haus der Doluccas. Demi begutachtet das Fenster. »Zu hoch, um raufzuspringen, Miguel?«
»Zu hoch«, bestätigt Miguel.
»Baz, würdst du klarkommen, wenn wir dir hochhelfen?«
»Sicher. Soll ich dann das Tor aufmachen?«
Demi starrt das Haus, die Mauer und das Tor an, als könnte es irgendwo noch einen geheimen Zugang geben, von dem Eduardo ihnen nichts verraten hat. Er schüttelt den Kopf. »Vom Tor hat er nichts gesagt. Also bleib von diesem Tor weg. Du stellst dich ans Fenster und greifst meine Hand, wenn ich an der Mauer hochspringe. Ich schwing mich dann an deiner Hand rauf. Miguel, du wartest unten, und wenn ’ne Streife vorbeikommt, pfeifst du. Geht das klar für dich?«
Miguel nickt. »Ich stell mich in den Toreingang, da ist Schatten, wo man nicht gleich gesehen wird.«
»Gut. Und lass du den Motor laufen, Domino. Der Sohn meint, dass wir nicht mehr als fünf Minuten brauchen.«
Domino sieht ihn mit ausdruckslosem Blick an. »Ich komm zurück, wenn’s so weit ist.« Vielleicht weil er spürt, dass Demi im Begriff ist, in die Luft zu gehen, fügt er erklärend hinzu: »Ist sicherer, in Bewegung zu bleiben. Jeder Polizist würd ein Auto kontrolliern, das vor so ’nem Haus parkt.«
Da hat er recht. Die Straßen sind absolut leer, nirgendwo steht ein Auto – alle sicher in ihren Garagen verwahrt, hinter verschlossenen Toren. Baz nickt Demi zu. »Okay«, sagt er knapp und schlüpft aus dem Auto, die anderen beiden folgen ihm. »Warte, bis wir drin sind. Dann gibst du uns fünf Minuten.« Demi gibt sich schwer geschäftsmäßig, genau so wie wenn er nur mit Baz arbeitet. Baz fragt sich, wie der wortkarge Mann das wohl findet, Anweisungen von einem Jungen entgegenzunehmen, einem Jungen, der wahrscheinlich zehn Jahre jünger ist als er. Vielleicht ist es ihm egal, vielleicht ist das hier nur ein Job für ihn – Taxi. Wenn sie allerdings von der Polizei aufgegriffen werden, dann landet er genauso im Schloss wie sie.
Baz kann die Antwort des Fahrers nicht hören, aber das Auto bleibt leise rumpelnd stehen, während Demi ihr eine Taschenlampe zusteckt. Dann laufen die beiden Jungen los, stellen sich mit dem Rücken zur Wand und legen ihre Hände zusammen. Baz ist eigentlich nie nervös, wenn sie ihrer Tätigkeit auf der Straße nachgeht, aber hochkonzentriert, sie hat die Augen überall,
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